Im Gefängnis ist reine politische Organisierung out, der Beitritt zu
einer Gewerkschaft ist dagegen der Renner
Mehr als drei Jahrzehnte hörte man auf linken Demonstrationen: »Wir
sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen.« Heute hört man diese Parole
seltener. Dabei sitzen auch jetzt Aktivisten hinter Gittern.
Von Peter Nowak
»Als politische, kämpfende und widerständige Gefangene grüßen wir aus
den Kerkern der imperialistischen Bundesrepublik Deutschland die Völker
der Erde, mit dem Geist der internationalen Solidarität und der Liebe
zur Freiheit«, begann ein Aufruf, mit dem sich sieben Gefangene aus
verschiedenen Justizvollzugsanstalten anlässlich des 1. Mais zu Wort
meldeten. Der einzige deutsche Unterstützer des Aufrufs, Thomas
Meyer-Falk, bezeichnet sich selbst als anarchistischer Red-Skin. 1996
wurde er nach einen Bankraub verhaftet. Das Geld sollte linken
Projekten zufließen. Von Anfang an verstand sich Meyer-Falk als
politischer Gefangener. Er ist damit eine Ausnahme.
Die anderen Unterzeichner des Aufrufs waren in der Türkei in militanten
linken Organisationen aktiv, haben dort früher schon im Gefängnis
gesessen und sich gegen Folter und Isolationshaft gewehrt. Einige
beteiligten sich an langen Hungerstreiks. In Deutschland wurden sie
wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer ausländischen
terroristischen Vereinigung nach dem umstrittenen Paragrafen 129b
verurteilt. Seit dem 6. April befindet sich eine von ihnen, Gülaferit
Ünsal, in einem unbefristeten Hungerstreik, weil ihr in der JVA Pankow
linke Literatur und Medien verweigert oder erst mit großer Verzögerung
ausgehändigt wurden.
Die neue Gefangenenplattform erinnert in der Diktion an ähnliche
Projekte der Gefangenen der Rote Armee Fraktion (RAF) und des
antiimperialistischen Widerstands in den 70er und 80e Jahren. Sie
organisierten damals kollektive Hungerstreiks und wurden von Gruppen
draußen unterstützt. Mehr als drei Jahrzehnte hörte man auf linken
Demonstrationen die Parole: »Wir sind nicht alle, es fehlen die
Gefangenen.«
Seit die letzten Gefangenen aus organisierten linken Strukturen
freigelassen wurden, hört man diese Parolen jedoch seltener. Für
Wolfgang Lettow von der Publikation Gefangeneninfo, der seit
Jahrzehnten politische Gefangene besucht, ist diese Entwicklung
Ausdruck einer politischen Defensive. »Die durch den Kapitalismus
hervorgerufene Vereinzelung geht auch an den Weggebunkerten nicht
spurlos vorbei«, erklärt er gegenüber »nd«.
Der Sprecher der im letzten Jahr in der JVA Tegel gegründeten
Gefangenengewerkschaft, Oliver Rast, zieht aus dem Wegbrechen
organisierter linker Strukturen auch im Gefängnis Konsequenzen. »Jetzt
sollte die Frage nach einem Gewerkschaftsengagement hinter Gittern
offensiv ausgeworfen werden. Der Kampf gegen die staatlich
sanktionierte Billiglöhnerei und die arbeits- und sozialrechtliche
Diskriminierung von Gefangenen halten wir für hochpolitisch«, meint
Rast gegenüber »nd«.
Gefängnisleitungen scheinen die Neuformierung ernst zu nehmen. So
wurden in den vergangenen Wochen die Mitgliederzeitung sowie Ausweise
und Materialien der Gefangenengewerkschaft immer wieder beschlagnahmt.
Das Anwachsen der Vernetzung hinter Gittern auf über 500 Mitglieder
konnten sie nicht verhindern. Hier sieht Rast ein großes Potenzial für
eine Politisierung von Gefangenen, die wegen unterschiedlicher Delikte
inhaftiert sind.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/970952.kampf-fuer-lohn-und-rente.html