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Der Ukrainekrieg und die Einheit der Revolutionär_innen

Wir erleben eine Zeit von Krisen und extremer Instabilität.

Und trotzdem ist die revolutionäre Linke jedes mal überrascht, zuerst stumm, dann zersprengt in teilweise widersprüchliche Positionen.

Vorgestern der «Krieg gegen den islamistischen Terror», gestern die Covid-Pandemie, heute der Ukrainekrieg, morgen eine Klimakatastrophe oder etwas anderes, wie kann erreicht werden, dass die revolutionäre Linke richtig reagiert? Was sind die Lektionen von gestern für heute? Und was sind die von heute für morgen?

Die Rote Hilfe International hat nicht die Absicht, die «richtige Linie» gegenüber dem Ukrainekrieg vorzuschlagen. Wir wissen sogar nicht einmal, ob es nur eine davon gibt, weil die Situation so komplex ist und die Parameter so viele.

Aber wir wissen, welchen Fehler die revolutionäre Linke auf jeden Fall vermeiden muss.

Dieser Fehler ist, zuzulassen, dass unter uns schwere und schädliche Unstimmigkeiten auftreten, die nicht auf soliden Analysen und sichere Positionen fussen, sondern auf Entscheidungen, die durch die Dringlichkeit diktiert werden, bestimmt durch völlig unangemessene historische Bezugspunkte, beeinflusst durch die Propaganda der bürgerlichen Staaten, die den «Zeitgeist» kennzeichnet und auf legitimere Weise auf den unterschiedlichen Konzepten des revolutionären Prozesses fussend.

In dieser bewegenden Zeit, mit einem gut organisierten Klassenfeind (sowohl in Russland als auch im Westen) und mit der Perspektive auf neue Krisen, müssen wir unnötige Spaltungen vermeiden und eine revolutionäre Einheit auf höchst möglichem Niveau finden.

Wir denken, dass die Fundamente für eine gemeinsame Position vorhanden sind.

Sie bestehen darin, zu verweigern für die Interessen des Feindes zu kämpfen. Weder die NATO noch Putin, noch Selenski, denn die Hauptprotagonisten in diesem Krieg vertreten die Interessen, die dem revolutionären Projekt entgegengesetzt sind. Wir werden nicht für Putin, für die Nato oder für Selenski kämpfen und wir müssen alle Narrative anprangern, die aus ihrer Kriegspropaganda stammen.

Aber sich zu weigern, sich für die bürgerlichen Interessen einspannen zu lassen, heisst nicht, sich darauf zu beschränken, Putin und Selenski auf die selbe Stufe zu stellen. In einer so dramatischen Situation, wie sie ein Krieg darstellt, rechtfertigt nichts Passivität und Zuwarten, eine Haltung von tief betrübten Zuschauer_innen. Es ist nötig, sich zu engagieren und zu handeln, ohne sich auf die Wahl festlegen zu lassen, die uns der Feind (entweder Selenski und die NATO oder Putin) anbietet. Wir weigern uns, ein Lager auszuwählen in dem Sinne, dass unser Lager nicht dieser oder jener offizielle Kriegstreiber ist, sondern das revolutionäre Lager.

In einer Situation wie dieser muss die revolutionäre Linke sich also auf ihre eigenen ideologischen Werte besinnen und auf seine eigenen strategischen Interessen.

Nur auf dieser Basis werden wir in eine Dialektik treten können mit den revolutionären Initiativen, die (unter welchen Schwierigkeiten!) in den feindseligen Bedingungen in Russland, dem Donbass und der Ukraine existieren.

Nur auf dieser Basis werden wir eine authentische revolutionäre Solidarität mit dem ukrainischen Volk, das unter der Aggression des russischen Staates leidet, entwickeln können.

Es existiert tatsächlich ein gemeinsamer Beziehungsrahmen für die revolutionären Kräfte, auch wenn dieser Rahmen eine ziemlich breite Palette an strategischen, operativen und praktischen Vorschlägen erlaubt. Und wir müssen diesen «gemeinsamen Boden» im Bewusstsein behalten und aufwerten, statt uns auf die Unterschiede in den Vorschlägen zu konzentrieren.

Dieser Rahmen ist durch die drei Imperative charakterisiert, die die Revolutionär_innen in ihrer Vielfalt anleiten:

  • Einen Klassenstandpunkt einnehmen und verteidigen gegen jede sogenannte «heilige Allianz» mit der Bourgeoisie. Es kann mit den bürgerlichen Kräften taktische Vereinbarungen geben, denn die zwischen-imperialistischen Widersprüche bieten manchmal die Gelegenheit, Übereinkünfte einzugehen, die der revolutionären Seite dienen. Aber das ist nur möglich, wenn gut zwischen unseren Interessen und denen des Feindes unterschieden wird. Der Unterschied zwischen strategischen und taktischen Partnern, wie er von der kurdischen Bewegung gemacht wird, ist essenziell. Die revolutionäre Perspektive muss immer klar vor Augen behalten, dass die bürgerliche Macht der Feind ist.

  • Die Selbstorganisation des Volkes ermutigen und bestärken, den Einfluss der Staaten bekämpfen und selbstorganisierte Räume öffnen. Eine revolutionäre Perspektive muss versuchen, die Wege, über die die Machtfrage gestellt werden kann, zu entwickeln. Und es ist klar, dass die Kräfte, die an der Macht sind, dafür sorgen, dass diese Räume so beschränkt wie möglich sind.

  • Den Chauvinismus ablehnen und den Internationalismus und die Freundschaft zwischen den Völkern aufwerten. Zuerst als Teil des Kampfes gegen den Rassismus, was wichtig ist in dem Moment, wo sich die Gesellschaft nach rechts bewegt. Und danach um die gemeinsamen Interessen der revolutionären Kräfte der verschiedenen Ländern sichtbar zu machen.

Wir denken nicht, dass es möglich ist, eine Einheit über das «was tun?» zu erreichen in der Frage der Ukraine noch bei anderen Krisen, die eintreten könnten. Aber über diese manchmal tiefgreifenden Unterschiedlichkeiten, was die Wahl angeht hinaus (Kritik an der NATO, Anprangerung des Krieges, Engagement gegen die russische Aggression), braucht die revolutionäre Bewegung in Europa unbedingt eine einheitliche und solidarische Dynamik.

Wir müssen verhindern, dass die Unterschiedlichkeiten zur Ukraine, so tief sie auch seien, die Bewegung hier ohne Notwendigkeit schwächen.

Wir haben es gesagt, wir sind in einer Krisenzeit und diese Krisen treten so schnell auf, dass sie die revolutionäre Linke vor die fast unmögliche Herausforderung stellt, sowohl schnell als auch gut zu reagieren.

Dies wird zwangsläufig unterschiedliche Entscheidungen hervorrufen.

Wenn wir zuliessen, dass diese Unterschiede dauerhafte Spaltungen in der revolutionären Linken hervorriefen, begingen wir politischen Selbstmord. Denn die Bruchlinien, die durch diese Krise provoziert werden, werden sich zu den anderen hinzufügen, die von den vorhergehenden und kommenden Krisen hervorgerufen wurden und werden.

Das einzige Mittel um sich vor dieser Vereinzelung zu bewahren, ist, zu akzeptieren, dass in Zeiten der Krise sehr unterschiedliche oder sogar antagonistische Positionen eingenommen werden können über die eine oder andere Dynamik. Weiter muss aufgrund dieser Akzeptanz unsere Einheit überall dort, wo sie möglich ist, gepflegt werden, nicht indem die Widersprüche verneint werden, sondern indem ihr Einfluss auf genau das Thema limitiert wird, aufgrund von dem sie entstanden sind.

Und die Einheit jenseits der Unterschiede wieder zu finden wird dadurch geschehen, dass unser Feind hier angegriffen wird und wir von den Krisen profitieren können, die er oft ausgelöst oder geschürt hat um seine Profite zu steigern und seine Macht auszubauen.

Sekretariat der Roten Hilfe International, Februar 2022