Erfahrungen aus einem Jahr Gewerkschaftsarbeit – vier Fragen an Oliver Rast (GG/BO)
Wer oder was ist die Gefangenengewerkschaft? Wofür steht sie und was sind ihre Ziele?
Wir haben uns im Mai letzten Jahres als selbstorganisierte Gewerkschaftsinitiative von Gefangenen in der JVA Tegel gegründet. Die Gefangenen kommen Tag für Tag an der Werkbank zusammen und werden dort mit ihrer hochgradig prekären Arbeitssituation konfrontiert: Billiglohn, Akkordhetze und keine Rentenversicherung, was für viele nach der Entlassung das direkte Ticket in die Altersarmut bedeutet. Dabei konzentrieren wir uns aktuell auf zwei Kernforderungen: Sozialversicherungspflicht für inhaftierte Beschäftigte und die Einbeziehung der arbeitenden Gefangenen in den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Über diese Etappen streben wir die volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern an. Begriffe wie Solidarität, Autonomie, Emanzipation und Sozialreform sollen innerhalb der Gefangenenpopulation keine Fremdwörter mehr sein – wir wissen, dass das ein hoher Anspruch ist.
Die Gefangenengewerkschaft gibt es nun seit einem Jahr. Was habt ihr bisher erreicht?
Zunächst einmal ist es uns gelungen, dass sich Gefangene im Verbund mit solidarischen nicht inhaftierten KollegInnen vor den Knasttoren eine eigenständige und selbstbestimmte Lobby in Sachen Gewerkschaftsfragen geschaffen haben. Die bislang unter Verschluss gehaltene Arbeitswelt hinter Gittern konnte ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden. Wir sind aktuell in 45 Knästen der BRD mit knapp 600 Mitgliedern präsent. Wir fahren seit Monaten ein Pensum, das uns an den Rand unserer eigenen Kapazitäten bringt – oft auch darüber hinaus!
Welche Möglichkeiten politischer Gewerkschaftsarbeit gibt es innerhalb der Gefängnismauern?
Hier sind den AktivistInnen in den Haftanstalten sprichwörtlich enge Grenzen gesetzt. Dennoch versuchen wir verschiedene Initiativen anzuleiern. Wir haben z.B. eine „Aktivierende Untersuchung“ unter den gefangenen GG/BO-Mitgliedern gestartet, um anhand einer kleinen statistischen Erhebung die „Sonderwirtschaftszone Knast“ unter die Lupe zu nehmen. Mit der anschließenden Auswertung des Datenmaterials wollen wir unseren bundesweit geplanten Aktionstag gegen die staatlich sanktionierte Billiglöhnerei hinter Gittern offensiv thematisieren. Des Weiteren haben wir ein Antragsschreiben aufgesetzt, damit die inhaftierten KollegInnen gegenüber der JVA-Arbeitsverwaltung ihren Mindestlohn einfordern können, da gefangene ArbeiterInnen weder explizit aus dem Mindestlohngesetz ausgenommen, noch einer Übergangsregelung unterworfen sind. Ein konkretes Ziel ist gleichfalls, dass wir ein Versammlungsrecht in den einzelnen JVAs durchsetzen wollen, damit sich die GG/BOlerInnen mit nicht inhaftierten AktivistInnen treffen und austauschen können.
Mit welchen Problemen und Widerständen seitens der Institutionen habt ihr zu kämpfen?
Die Schikanen nehmen in einzelnen Knästen massiv zu; der Gegenwind wird spürbar rauer: Gewerkschaftspost wird angehalten oder geht „verloren“, Zellenrazzien bei GG/BO-Sprechern, es wird mitunter ein Klima in einzelnen Hafthäusern und Betrieben erzeugt, um interessierte Inhaftierte davon abzuhalten, der GG/BO beizutreten. „Union Busting“ pur! In den JVAs Tegel, Willich, Würzburg, Frankenthal und Landsberg/Lech laufen zum Teil seit Monaten mehrere Verfahren vor Strafvollstreckungskammern, um die rechtswidrigen Attacken seitens der Vollzugsbehörden gegen die GG/BO-Aktivität hinter den Knastmauern abzuwehren. Um diesen gewerkschaftsfeindlichen Übergriffen begegnen zu können, brauchen wir als GG/BO die aktive Solidarisierung von (Basis-)Gewerkschaften und engagierten (Basis-)GewerkschafterInnen, damit sich das Modell „Kein Knast ohne GG/BO“ weiter und breiter verankern kann.
Interview: Claudia Froböse
Quelle: https://www.direkteaktion.org/229/gewerkschaft-hinter-gittern