Wirtschaft & Soziales – Seit eineinhalb Jahren kämpft die Gefangenengewerkschaft für die Rechte Inhaftierter
Von Christof Mackinger
Er wurde 2009 wegen seiner Beteiligung an militanten Aktionen der militanten gruppe (mg) gegen Polizei, Arbeitsämter und zuletzt Militärinfrastruktur zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. »Ich wurde in den späten 1980er Jahren politisiert. Das war eine Zeit, in der es noch relativ agile Gefangenenkollektive politischer Aktivisten gab.« Doch das hat sich geändert. Oliver Rast war schon vor seiner Inhaftierung als Basisgewerkschafter aktiv – bei den Wobblies (Industrial Workers of the World) und der syndikalistischen Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union. »Aufgrund meiner Isoliertheit in Haft als politischer Gefangener musste ich gucken, ob es da nicht eine Möglichkeit gibt, Inhaftierte unter einem ganz anderen Label zusammenkommen zu lassen.« Und die gibt es: Im Mai 2014 hat Rast mit dem seit 20 Jahren inhaftierten Juristen Mehmet Aykol in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin Tegel die Gefangenengewerkschaft gegründet, aus der die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) entstanden ist. »Wir hatten damals keine Vorstellung, dass aus zwei Menschen innerhalb von eineinhalb Jahren knapp 850 Inhaftierte in über 70 Haftanstalten werden könnten.« Mit einer Unterstützungsstruktur außerhalb der Gefängnisse wird »das solidarische Band zwischen Drinnen und Draußen« nochmal gestärkt. Diesem Kreis gehört Oliver Rast nach seiner Entlassung auch weiterhin an.
Ein Freiraum für Unternehmer …
Warum die Idee einer Gewerkschaft hinter Gittern bei so vielen Inhaftierten auf Zuspruch stößt? In Deutschland sind derzeit rund 63.000 Menschen inhaftiert, in Österreich etwa 8.800. Während für Strafgefangene in ganz Österreich Arbeitspflicht herrscht, ist der Justizvollzug Deutschlands aufgrund der Föderalisierung seit 2006 Ländersache und dementsprechend zerfasert. In nur mehr zwölf Bundesländern existiert eine Arbeitspflicht in Haft, wobei Gefangene der übrigen Bundesländer aufgrund des ökonomischen Drucks meist ohnehin auch arbeiten müssen. Die gesetzliche Regelung zur Arbeitspflicht lautet etwa in Hamburg: »Die Gefangenen sind verpflichtet, eine ihnen zugewiesene, ihren körperlichen Fähigkeiten angemessene Arbeit oder arbeitstherapeutische Beschäftigung auszuüben«. Was sie arbeiten, können sich die Betroffenen in der Regel nicht aussuchen.
Viele der Inhaftierten sind in »Systemerhaltungsbetrieben«, wie Anstaltsküchen, Wäschereien etc. beschäftigt. Daneben lassen die meisten größeren Haftanstalten für den behördlichen Eigenbedarf produzieren, so Oliver Rast. »Faktisch jede Landesbehörde, von der Kindertagesstätte bis zum Ministerium lässt in den Haftanstalten produzieren. Die gesamte Bestuhlung des Berliner Abgeordnetenhauses wurde in der Polsterei der Haftanstalt Berlin Tegel gefertigt. Da wir den Eindruck haben, dass die Berliner Abgeordneten auch bequem sitzen, werten wir das als Hinweis, dass kein Ausschuss produziert wird – im Knast da wird Qualitätsarbeit geschaffen!« Darauf deutet auch der §34 Abs. 5 im Hamburger Strafvollzugsgesetz hin: »Sind Gefangene zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit nicht fähig, sollen sie arbeitstherapeutisch beschäftigt werden.« Eine wirtschaftliche Verwertung ist also durchaus eingeplant; jeden Zweifel daran räumt die moderne Ausstattung mit Arbeitsgerätschaften so mancher JVA-Werkstätten aus; genauso die umfangreichen, an Ikea erinnernden Kataloge, in denen die hinter Gittern gefertigten Waren feilgeboten werden. (1)
Dass es um Gewinne geht, lässt auch die Umwerbung der Privatwirtschaft vermuten, Aufträge an Haftanstalten zu vergeben: »Ein kluges Konzept für wirtschaftliches Produzieren. Freiraum für Unternehmer!«, so die Website der Arbeitsbetriebe bayerischer Justizvollzugsanstalten. Sachsens Gefängniswerkstätten werden als »verlängerte Werkbank des Handwerks und der Industrie« angepriesen, die »Auftragsspitzen schnell und kompetent abfangen« können. Eine aktivierende Befragung der GG/BO-Mitglieder zeigte, dass dies auch gerne in Anspruch genommen wird: So produziert der weltgrößte Hersteller von Windkraftanlagen, Enercon, über Subunternehmen in niedersächsischen JVA-Betrieben elektrische Bauteile, und international agierende Automobilzulieferer lassen Kunststoffkomponenten hinter Gitter fertigen.
So unterschiedlich die Auftraggeber_innen auch sein mögen, so einheitlich ist die Entlohnung weit unter jedem gesetzlichen Mindestlohn. Der Verdienst in Haft ist gesetzlich in fünf Vergütungsstufen geregelt. »Die meisten liegen mit ihrem Lohn zwischen acht und 15 Euro pro voll geleistetem Arbeitstag. In der Stunde sind das durchschnittlich 1,50 Euro«, so der Sprecher der GG/BO Oliver Rast. »Ich selbst hatte in der Buchbinderei der JVA Berlin Tegel zuerst die Vergütungsstufe zwei, später die drei. Das machte etwa 11 Euro Tagessold aus.«
Die Arbeitsbedingungen in deutschen Haftanstalten sind überaus flexibel. In gleich mehreren Landesstrafvollzugsgesetzen heißt es: »Es gelten die von der Anstalt festgelegten Arbeitsbedingungen.« Dies und die Tatsache, dass Auftraggeber_innen auf Lohnnebenkosten, wie Sozialabgaben etc. verzichten können, macht Gefängnisse tatsächlich zu »Freiräumen für Unternehmer«. Weder wird in die Pensionsvorsorge inhaftierter Arbeiter_innen eingezahlt noch werden sie im Fall einer Erkrankung entlohnt. So droht ihnen, vor allem nach langjährigen Haftaufenthalten, die Altersarmut – trotz geleisteter Arbeit. Eine miserable finanzielle Situation im Alter trägt nicht gerade zum positiven und abgesicherten Neuanfang nach einer Haftentlassung bei, ist doch Armut noch immer einer der Hauptfaktoren, der Menschen hinter Gitter bringt.
… nur beschränkt durch Arbeitskampf
Genau hier setzen die Forderungen der GG/BO an: Sie fordert neben dem Recht auf gewerkschaftliche Organisierung die Einbeziehung in den allgemein gesetzlichen Mindestlohn und in das komplette Sozialversicherungssystem, insbesondere die Einzahlung in die Rentenkasse. Doch wie können Gefangene von grundsätzlichen Arbeitsrechten ausgenommen sein? »Den Inhaftierten wird der Arbeitnehmerstatus mit dem administrativen Trick verweigert, dass die Arbeit hinter Gittern keine richtige Arbeit sei, sondern einem behandlungstherapeutischen Konzept folge«, so Rast. »Dazu kommt der Punkt, dass es eine Arbeitspflicht gibt, also laut dem Staat kein privatrechtliches Arbeitsverhältnis eingegangen wurde.« Die Durchsetzung der GG/BO-Forderungen hätte weitreichende Folgen: »Dann würde das deutsche Betriebsverfassungsgesetz gelten, und es würden auch Mitbestimmungsbefugnisse der Beschäftigten greifen. Deswegen hat ganz sicher der gesamte Justizapparat Bedenken, weil dies hieße, dass der deutsche Strafvollzug ein ziemlich anderes Gesicht bekäme.«
Momentan sind die inhaftierten Kolleg_innen noch weit von einer Umsetzung ihrer Forderungen entfernt, sie organisieren sich aber zunehmend. Erst im November 2015 wurde die Gründung einer ersten österreichischen Sektion der GG/BO in der Justizanstalt Graz-Karlau bekannt.
Arbeitskampf hinter Gitter …
In Hessen haben sich Ende 2015 Inhaftierte entschlossen zu handeln: In der JVA Butzbach verfügt die Gefangenengewerkschaft mittlerweile über eine breite Basis. Inhaftierte hatten mitbekommen, dass die von ihnen gefertigten Waren, wie etwa Trampolinmatten für Spielplätze, hochpreisig verkauft werden – demgegenüber steht der sprichwörtliche Hungerlohn der Arbeiter mit nur knapp elf Euro pro Tag. Dies hat die Inhaftierten dazu veranlasst, einen Forderungskatalog auszuarbeiten, der von rund 60 Gefangenen unterzeichnet wurde. Sie forderten unter anderem die Einbeziehung in den Mindestlohn, den Erwerb von Rentenversicherungsansprüchen und die Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern und unterbreiteten der Landesjustizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) ein Gesprächsangebot. Nachdem alle Anfragen ignoriert wurden, traten mehrere Gefangene in einen angekündigten Hunger- und Bummelstreik.
Aufgrund der gesetzlichen Arbeitspflicht gibt es in Haft keine legale Möglichkeit der Arbeitsniederlegung. »Der Hungerstreik ist nun aber die Möglichkeit, dass man aus medizinischen Gründen von der Arbeitspflicht befreit wird. Deshalb ist er für die Inhaftierten die einzige legale Möglichkeit in den Arbeitsstreik zu treten,« erklärt eine Sprecherin des im Herbst 2015 gegründeten Netzwerks für die Rechte inhaftierter Arbeiter_innen, in einem Interview im Freien Radiosender radio flora. Das Netzwerk unterstützte die Inhaftierten tatkräftig von außerhalb der Mauern mit einer Kundgebung und setzte eine Solidaritätserklärung auf, für die über 150 Wissenschaftler_innen, Gewerkschafter_innen und Aktivist_innen gewonnen werden konnten. Unter großem medialen Interesse wurde der Streik nach zehn Tagen beendet. Jörg Nowak, ein Aktivist des Netzwerks für die Rechte inhaftierter Arbeiter_innen, resümiert: »Die Forderungen der Inhaftierten konnten zwar nicht durchgesetzt werden, doch das Medienecho war ziemlich gut und der Widerhall in der Öffentlichkeit besser als gedacht.« Das erste Mal seit Langem wurden Gefangene wieder als soziale Akteure mit Rechten wahrgenommen.
… und seine Schwierigkeiten
Neben den ersten konkreten Arbeitskämpfen hat die GG/BO aber auch mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen. An erster Stelle stehen die Unionbusting-Maßnahmen der Haftanstalten: »Es gibt kaum einen GG/BOler, der nicht mit verstärkter Postkontrolle, Zellenrazzien, der Ablösung von der Arbeit oder mit Zwangsverlegungen konfrontiert ist. Wir haben hier die gesamte Palette der knastinternen Schikanen und Repressalien, die an unseren Mitgliedern durchexerziert werden.« Um dem zu begegnen versucht die Gefangenengewerkschaft Bündnispartner_innen im traditionellen Gewerkschaftsspektrum zu finden, das sich aber bisher recht zögerlich zur Selbstorganisierung der Inhaftierten verhält.
Daneben behindern die nur sehr beschränkten Kommunikationsmittel der Inhaftierten eine effiziente Organisierung und infolge dessen eine Demokratisierung der Gewerkschaftsstruktur: Gefangene haben keinen Zugang zum Internet und nur eingeschränkte Möglichkeiten für Telefonate. Organisatorisches hängt sehr stark von der Initiative der Unterstützer_innen in Freiheit ab. Daneben hat die GG/BO mit einer Fluktuation zu kämpfen, welche auf der aktuellen Lebenssituation vieler ihrer Kolleg_innen fußt. »In manchen Haftanstalten, wo sehr engagierte GG/BO-Kolleginnen und Kollegen am Werk sind, ist ein sehr starker Aufschwung der Organisierung zu erkennen. Mit deren Enthaftung geht jedoch oft auch ein struktureller Einbruch einher. Wir versuchen dies durch Unterstützungsstrukturen außerhalb der JVAs abzufedern« so Oliver Rast. Unterstützungsstrukturen, die noch viel Verstärkung brauchen können.
Christof Mackinger ist Politikwissenschaftler und politischer Aktivist. Im Unrast-Verlag veröffentlichte er 2015 das Buch »Radikale Ökologie«.
Informationen unter www.gefangenengewerkschaft.de.
Anmerkung:
1) Einen kleinen Einblick bietet zum Beispiel die JVA Butzbach auf ihrer Website (jva-butzbach-justiz.hessen.de) unter dem Menüpunkt »Werkhof/Eigenbetriebe«.