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Mumia Abu-Jamal: Revolutionäre Tradition

Von Assata Shakur

Als ich das erste Mal die Aufnahme eines von Mumia Abu-Jamal im
Gefängnis geschriebenen und gesprochenen Radiobeitrags hörte, begriff
ich sofort, warum Justiz und Polizei der Vereinigten Staaten von
Amerika von Anfang an so entschlossen waren, ihn hinzurichten. Dabei
bediente sich Mumia, der damals der einzige politische Gefangene mit
afrikanischen Wurzeln im Todestrakt war, noch nicht einmal einer
besonderen aufrührerischen Rhetorik. Was er sagte, war so klar, so
wahrhaftig, dass ich augenblicklich alles aus den Händen legte und mich
voll und ganz auf seine Worte konzentrierte.

Mumia Abu-Jamal – Journalist, Ehemann, Vater, Großvater – ist ein
brillanter Autor und Redner. Er besitzt die Fähigkeit, das zu sagen,
was gesagt werden muss, und zwar auf eine sehr anschauliche und
eindringliche Art. Seine Sprache, seine Stärke und seine Intelligenz
erinnern mich besonders an einen Mann: El-Hajj Malik El-Shabazz, auch
bekannt als Malcolm X. Mumia Abu-Jamal setzt auf eine wahrhaft
überzeugende Weise Malcolms Tradition und die Traditionen so vieler
unserer Freiheitskämpfer fort, die ihr Leben im Befreiungskampf unseres
Volkes riskiert haben.

Wenn ich in den letzten Jahren Malcolms Geburtstag feierte (morgen, am
19. Mai, ist sein 90. Geburtstag; jW), dann musste ich immer
unwillkürlich auch an Mumia denken, den Mann, der so unendlich viele
Jahre im Todestrakt zubringen musste, aber dennoch stark und
wunderschön blieb und entschlossen weiter für unsere Sache kämpfte.
Mumia, politischer Aktivist, Revolutionär und Humanist, folgte
gewissenhaft Malcolms Spuren. Wir spüren deutlich, wie Malcolms
Energien durch Mumia weiterwirken. Und wir spüren Mumias Energien, wenn
er Malcolms Vermächtnis in die Tat umsetzt.

Würde Malcolm X heute noch leben, dann, so bin ich mir sicher, würde er
dafür kämpfen, Mumias Leben zu retten. Würde Malcolm X heute noch
leben, dann würde er auch dafür kämpfen, alle politischen Gefangenen zu
befreien. An euch, Schwestern und Brüder, trage ich deshalb im Namen
von Malcolm X die besondere Bitte heran, mit all euren Kräften für
Mumias Leben zu kämpfen und ihn aus dem eisernen Griff seiner
Unterdrücker zu befreien.

Euch, die ihr unsere Vorfahren ehrt, fordere ich eindringlich dazu auf,
auch die lebenden Heldinnen und Helden unseres Kampfes zu ehren. Wenn
ihr die Namen der Sklavenbefreier Nat Turner und Harriet Tubman und den
von Malcolm X würdigt, dann ermahne ich euch, auch die Namen der
politischen Gefangenen Sundiata Acoli (41 Jahre in Haft), Mutulu Shakur
(28 Jahre in Haft) und Mumia Abu-Jamal (33 Jahre in Haft) und vieler
anderer zu würdigen. Vergesst keinen unserer lebenden Kämpfer und gebt
sie niemals preis. Wenn wir ihrem Kampf gegenüber gleichgültig sind,
sind wir es auch unserem eigenen gegenüber. Wenn wir die lebenden
Protagonisten unserer Geschichte preisgeben, dann geben wir auch uns
selbst preis. Wir haben nicht vermocht, Malcolm X zu retten, aber wir
können Mumia retten. Wir können ihn retten, und wir müssen ihn retten!
Weil wir unseren Bruder Mumia lieben, und weil wir ihn hier draußen an
unserer Seite im Kampf für die Freiheit brauchen. Befreien wir Mumia
Abu-Jamal und alle politischen Gefangenen! Setzen wir unsere Tradition
fort – bis zur endgültigen Freiheit!

Übersetzung: Jürgen Heiser

Assata Shakur, Mitglied der Black Panther Party, 1973 unter
konstruierter Anklage zu lebenslanger Haft verurteilt, entkam 1979 aus
einem US-Gefängnis. Seit 1984 genießt sie politisches Asyl in der
sozialistischen Republik Kuba, wo sie als Repräsentantin der
afroamerikanischen Freiheitsbewegung anerkannt ist.

http://www.jungewelt.de/2015/05-18/014.php