Linke Aktivisten in Türkei verhaftet. Gastkommentar
Von Mesale ToluAm Morgen des 11. Septembers sind in der türkischen Hauptstadt Ankara mehrere Oppositionelle bei einer Razzia festgenommen worden. Nichts Verwunderliches, könnte man meinen, denn seit dem Putschversuch 2016 wurden ca. 40.000 Menschen auf diese Art inhaftiert. Sollte man sich langsam an diese aufgezwungene Routine gewöhnen? Nein, bloß nicht! Jede Razzia ist ein Einbruch in das Leben und die Privatsphäre der Menschen. Dieses Mal wurden vier Menschen aus ihren Familien und ihrem Freundeskreis herausgerissen. Einer von ihnen ist Max Zirngast, ein junger engagierter Journalist und Student an der traditionsreichen Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara. Er ist einer, der sich auch wagt, riskante Themen anzusprechen.
Nach Angaben seines Anwalts Teoman Özkan wurden mit Zirngast auch Hatice Köz, Burcu Pekdemir und Mithatcan Türetken festgenommen. Laut Haftbefehl wurden insgesamt acht Menschen gesucht, vier von ihnen wurden nicht in ihren Wohnungen aufgefunden. Özkan kennt diese politischen Verfahren, die von Beginn an mit einem Geheimhaltungsbeschluss versehen werden. Weder die Anwälte noch die Festgenommenen werden bis zum Verhör erfahren können, was ihnen vorgeworfen wird.
In der türkischen Presse kursierten bereits Nachrichten, die erahnen lassen, wie das Verfahren ausgehen wird. Die staatlichen Medien urteilen – noch vor den Richtern. »Terroristen« seien festgenommen worden, schrieben regierungsnahe Zeitungen. Es ist immer dasselbe Muster.
Nun sitzen Zirngast und die anderen Freunde im Polizeigewahrsam. Erst einmal für vier Tage. Ob der Staatsanwalt eine weitere Verlängerung beantragen wird, ist nicht gewiss. Es besteht die Hoffnung, dass sie noch diese Woche freikommen. Doch die Erfahrung zeigt, dass zu viele Menschen zu Unrecht für mehrere Monate ins Gefängnis müssen.
Ob Zirngast wegen seiner Texte oder seines Engagements als politischer Aktivist verurteilt wird, ist irrelevant. Denn egal ob als Journalist oder als Aktivist, hat er das Recht darauf, seine Meinung frei zu äußern oder an Veranstaltungen und Demonstrationen teilzunehmen. In einem Land, wo weder Intellektuelle, Künstler, Schauspieler, Schriftsteller noch Menschenrechtsaktivisten frei denken noch reden dürfen, ist die Unterscheidung zwischen Beruf und persönlicher Haltung aufgehoben.
Jeder sollte in einem Unrechtsstaat Haltung zeigen können, um eine Normalisierung der Festnahmen unschuldiger Menschen zu verhindern. Denn die Zensur von oben reicht in alle Lebensbereiche. Schauspiele werden zensiert, Journalisten für ihre Kolumnen angeklagt und Anwälte wegen der Verteidigung ihrer Mandanten verurteilt. Daher ist es wichtig, für Zirngast, Köz, Pekdemir und Türetken Freiheit und ein rechtsstaatliches Verfahren zu fordern.
Mesale Tolu ist Journalistin und Übersetzerin. Sie war 2017 für mehr als sieben Monate in der Türkei wegen des Vorwurfs der »Terrorismusunterstützung« inhaftiert.
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