Brief von Sinan Aydin: Alltag im Knast / 11.03.2016

Liebe Genossen,

ich habe den Brief den Ihr mir am 30.12.2015 geschickt habt erst heute
(11.03.2016) bekommen. Leider verspätet sich alles wenn es solch massive
Kontrollen gibt. Es ist völlig egal wie schnell ich euch zurückschreibe,
ich vermute meinen Brief werdet ihr erst in ein paar Monaten bekommen.

Ich werde auf das Schreiben von euch eingehen obwohl ich mir dessen
bewusst bin, dass es bis zum 18.03., dem Tag der politischen Gefangenen,
nicht reichen wird. Außerdem habt ihr auch geschrieben, dass ich auch
über andere Themen schreiben kann. Wenn Ihr mir beim nächsten Brief
schreiben könnt was es für Themen es sein sollen und ob ihr meine Briefe
übersetzen lassen könnt, würde ich mich freuen.

Seit dem 15. April 2015 bin ich wegen dem TKP/ML Prozess in Kaisheim
inhaftiert. Vom ersten Tag bis 31.August war ich einer kompletten
Isolation ausgesetzt gewesen. (Wie die anderen Genossen die wegen
demselben Verfahren sitzen)

In einer kompletten Isolation, durfte ich morgens eine Stunde alleine
zum Hofgang. Nachdem ich danach alleine duschen durfte saß ich 23
Stunden lang in meiner Zelle ohne jeglichen Kontakt. Bei der Ausgabe von
Essen haben sie mir das Essen sogar entweder als erstes oder als letztes
das Essen gegeben. Wenn ich zum Arzt musste, bin ich als Einziger
hingegangen. In Wartezimmer war außer mir niemand da. Also, in den
ersten 4 Monaten habe ich / haben wir niemandem außer Vollzugsbeamten
oder die, die essen verteilen gesehen. 2mal im Monat habe ich meine
Familie, die zu Besuch da war, gesehen. Das war die einzige Zeit wo ich
mit jemandem gesprochen habe. Zu diesem Zeitpunkt habe ich auch in
einigen Briefen erwähnt, dass ich den ruhigen Sinan in mir entdeckt
habe, der eigentlich sehr gerne spricht.

Zu diesem Zeitpunkt fing mein Tag morgens um 6 Uhr mit der Stimme von
Beamten, die vorbeigekommen sind und nach mir geschaut haben mit einem
„Guten Morgen“, an. Aktuell fängt mein Tag immer noch so an. Von Anfang
an hatte ich einen Fernseher in meiner Zelle. Nachdem ich aufgestanden
bin habe ich ihn sofort angemacht, um ATV, einen türkischen Sender,
einzuschalten, um die Nachrichten zu sehen; bis der Vollzugsbeamte mich
zum Hofgang abgeholt hat. (07:30 Uhr)

In der Zeit habe ich wie Nazim es gesagt hatte mich im Spiegel
angeschaut und rasiert.* Ich mache es immer noch so mit dem einzigen
Unterschied, dass der Hofausgang um 8:45 Uhr stattfindet. Die
Nachrichten dauern auch bis dahin an.

Dieser Sender ATV und die die Nachtrichten senden sind mehr Erdogan als
er es selber ist und somit niederträchtig. Das heißt, dass mein Tag mit
dem psychischen Terror schon beginnt.

Ihr fragt euch jetzt bestimmt wieso ich es dann anschaue. Erstens: Es
ist der einzige Sender auf Türkisch. Zweitens: Durch die ständig
durchlaufenden Untertitel kann ich Nachrichten lesen. So bekomme ich
Informationen. Drittens wenn ich Zeitungen lese oder Nachrichten höre
kann ich dann die Widersprüchlichkeiten herausziehen. Somit bekomme ich
einen besseren Eindruck auf das Geschehen. Die deutschen Nachrichten
sind schlimm. Wenn es um Türkei, Kurdistan und menschenverachtendes
Verhalten geht spielen sie die drei Affen.

Wenn ich zu meinem Alltag zurückgehe, nachdem ich aus der kompletten
Isolation raus bin, habe ich angefangen täglich die Hürriyet, die
(Özgür) Politika und die Junge Welt zu bekommen. Die habe ich natürlich
komplett durchgelesen. Ich habe Druck bei der Vollzugsleitung gemacht
und habe Bücher bekommen, um Deutsch lernen zu können. Damit habe ich
auch angefangen.

Monatelang durfte ich keine türkischen Bücher von Außen bekommen.
Nachdem Ende August der Druck erhöht worden ist habe ich das Kapital
Band 1 von außen erhalten. Jetzt habe ich auch das 2. Buch und bin schon
fast damit durch. Das dritte werde ich auch noch erhalten.

Während der Isolation habe ich versucht täglich eine Stunde Sport zu
machen. Kurz gesagt verbringe ich die Zeit des Tages so:

– morgens um 6 aufstehen,
– TV und Nachrichten,
– mich frisch machen und rasieren
– zwischen 07:30 – 08:30 Uhr Hofgang
– 08:30 – 09:00 Uhr: Duschen,
– 09:00 – 11:00 Uhr: deutsche Nachrichten. Die Artikel der Zeitungen,
die nicht gelesen worden sind, lesen und Kreuzworträtsel, Bücher zum
Deutschlernen,
– 11:00 – 12:00 Uhr: Mittagessen,
– 12:00 – 13:00 Uhr: Türkische Nachrichten,
– 13:00 – 14:00 Uhr: ausruhen evtl. schlafen,
– 14:00 – 17:00 Uhr: Zeitungen die frisch gekommen sind, lesen,
– 17:00 Uhr: Abendessen,
– 18:00 – 19:00 Uhr: Türkische Nachrichten,
– 19:00 – 20:00 Uhr: Deutsche Nachrichten,
– zwischen 20:00 – 00:00 Uhr habe ich, wenn es einen schönen Film auf
deutschen Kanälen lief, diesen angeschaut oder gelesen.

Jetzt ist es morgens genauso.

– 08:45 – 10:00 Uhr: Hofausgang,
– 10:00 – 11:00 Uhr: Duschen und Mittagessen kommt.
– 11:00 – 12:15 Uhr: Essen und ausruhen.
– 12:15 – 13:30 Uhr: Sport (montags, dienstags, mittwochs und
donnerstags). Zu dieser Zeit ist die Zellentür offen und es ist
Duschzeit. In dieser Zeit habe ich die Möglichkeit mich mit den anderen
Gefangenen zu unterhalten oder Schach zu spielen.
– Zwischen 15:00 – 00:00 verbringe ich meine Zeit in meiner Zelle damit
deutsch-türkische Nachrichten anzuschauen, Lesen oder damit Filme
anzuschauen.

Am Freitag, Samstag und Sonntag sind die Zellentüren ab 11 Uhr
geschlossen bis zum nächsten Tag 08:45 Uhr.
Ich mache auch an diesen Tagen immer dasselbe bis auf das, dass ich an
diesen Tagen Briefe beantworte. Wenn unter der Woche ein Champions
League Spiel kommt, dann schaue ich es mir an. Damit ich ein gutes
Gewissen habe löse ich während der Zeit Kreuzworträtsel.

Wenn ich zu dem Punkt komme wie es bis jetzt für mich läuft, kann ich
nur sagen, dass ich kein Problem hatte mich an die neue Situation zu
gewöhnen.