Palästina: Kampf um Würde

Palästinensische Gefangene im Hungerstreik für bessere Haftbedingungen
Von Gerrit Hoekman junge Welt 20.4.17

Am Montag hat in Palästina der größte Hungerstreik der vergangenen Jahre
begonnen. Rund 1.500 Inhaftierte verweigern seit dem 17. April, dem
alljährlichen Gedenktag für die Gefangenen, die Nahrung. Sie
protestieren damit gegen die erbärmlichen Verhältnisse in den
israelischen Gefängnissen. Am Hungerstreik sind Mitglieder aller
politischen Richtungen beteiligt, angefangen von den Islamisten über
Fatah und Volksfront bis hin zur leninistischen DFLP. Die Forderungen
der Hungerstreikenden sind moderat: mindestens ein zugängliches Telefon
in jedem Gefängnis, zwei Besuche im Monat, auch für Verwandte zweiten
Grades wie Geschwister, Enkel und Großeltern. Außerdem fordern die
Streikenden die Erlaubnis, Fotos mit ihren Angehörigen machen zu dürfen.

Das palästinensische Solidaritätsnetzwerk »Samidoun« berichtete auf
seiner Homepage, Israel habe die Führer des Hungerstreiks in
Isolationshaft verlegt, darunter Marwan Barghouti, Mitglied des
Fatah-Zentralkomitees und momentan vielleicht populärste
Befreiungskämpfer. Außerdem verweigere Tel Aviv den Hungerstreikenden,
Besuch zu empfangen, darunter auch ihre Anwälte. Diese haben deswegen
ihre Zusammenarbeit mit den israelischen Justizbehörden eingestellt, wie
die palästinensische Nachrichtenagentur Ma’an am Mittwoch meldete.

»Hungerstreik ist die friedvollste Art des Widerstands, über die wir
verfügen«, schrieb Barghouti am vergangenen Sonntag in einem Artikel für
die New York Times. »Palästinensische Gefangene leiden unter Folter,
unmenschlicher und entwürdigender Behandlung und medizinischer
Vernachlässigung.« Die Inhaftierten müssen laut dem TV-Sender
Al-Dschasira die medizinische Behandlung selbst bezahlen, weswegen 200
von ihnen in den vergangenen 40 Jahren gestorben seien.

Blende Fotowettbewerb
6.300 Palästinenser befinden sich im Moment in israelischen
Gefängnissen, »darunter sind einige, die den zweifelhaften Weltrekord
halten, die am längsten inhaftierten politischen Gefangenen zu sein«, so
Barghouti. 458 Inhaftierte sitzen eine lebenslange Freiheitsstrafe ab.
Barghouti selbst muss mindestens 40 Jahre hinter Gittern bleiben. Das
Gericht hatte ihn 2004 wegen fünffachen Mordes und Mitgliedschaft in
einer »terroristischen« Vereinigung verurteilt. »Israel brandmarkt uns
alle als Terroristen«, schreibt Barghouti.
Nach internationalem Recht müssten Palästinenser aus den besetzten
Gebieten auch dort inhaftiert werden. Tatsächlich liegen die Gefängnisse
aber alle innerhalb Israels, was den Besuch von Angehörigen schwer bis
unmöglich mache. Immer wieder verweigert Tel Aviv ihnen die Einreise,
klagen Menschenrechtsorganisationen.

Ma’an berichtete am Dienstag, Bar­ghouti sei wegen seines Beitrags in
der New York Times eingehend verhört worden. Die Gefängnisdirektion
wirft ihm vor, er habe den Artikel von seiner Ehefrau ohne Erlaubnis aus
der Haftanstalt schmuggeln lassen. Der konservative Knesset-Abgeordnete
und frühere israelische Botschafter in den USA Michael Oren bezeichnete
den Text im Armee­radio als »mediale Terrorattacke«. Jisrael Katz,
Minister für Geheimdienste und Verkehr, forderte laut The Times of
Israel am Dienstag: »Es gibt nur eine Lösung – die Todesstrafe für
Terroristen.« Nur so könne verhindert werden, dass jemand wie Barghouti
aus der Haft heraus Hungerstreiks organisiere.

Insgesamt sollen nach Angaben der palästinensischen Statistikbehörde
seit 1967 mehr als 750.000 Palästinenser von den israelischen Behörden
inhaftiert worden sein. Vor Militärgericht gibt es kaum eine Chance auf
einen Freispruch: 90 Prozent der Angeklagten werden nach Angaben des
US-Außenministeriums verurteilt. »Das Ganze hat ein Ziel: Die legitimen
Ansprüche einer gesamten Nation zu begraben«, so Barghouti. »Dieser neue
Hungerstreik demonstriert einmal mehr, dass die Gefangenenbewegung der
Kompass ist, der unseren Kampf leitet, den Kampf um Freiheit und Würde.«
Der letzte große Hungerstreik fand im April 2014 statt, 800
Palästinenser verweigerten 63 Tage lang die Nahrung. 2012 hatten sich
1.500 Gefangene fast einen Monat lang im Hungerstreik befunden.