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INTERVIEW: Rückblick RAF – Kontinuität eines Standpunktes … Wolfgang Lettow im Gespräch

raf.grab

Gespräch am 22. Oktober 2017 in Hamburg

Am 22. Oktober fand im Hamburger Centro sociale eine Informations- und Diskussionsveranstaltung zu den im Herbst 1977 in den Knästen Stuttgart-Stammheim und München-Stadelheim tot aufgefundenen Gefangenen aus der RAF statt. [1] Wolfgang Lettow, der zu den Organisatoren und Referenten der Zusammenkunft gehörte, beantwortete dem Schattenblick im Anschluß daran einige vertiefende Fragen.
Schattenblick (SB): Wolfgang, es ging bei der heutigen Veranstaltung um die Frage, was wir aus der Geschichte lernen können. Warum sind die historischen Ereignisse, über die wir gesprochen haben, aus deiner Sicht so wichtig?
Wolfgang Lettow (WL): Die Geschichte der RAF, des bewaffneten Kampfs hier in Deutschland, hat etwas mit der 68er-Bewegung zu tun, die eine bundesweite Erhebung war. Das war sozusagen die Voraussetzung, daß bewaffnete Gruppen auch hier in Deutschland, in Westeuropa, in Nordamerika, sich verbunden gefühlt haben mit den Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt. Und diese Geschichte, insbesondere aber, was die Ereignisse des 18. Oktober 1977 in Stammheim betrifft, wird von den Herrschenden tabuisiert. Ich habe in meiner Eigenschaft als presserechtlich Verantwortlicher des “Gefangenen Info” (GI) [2] ausgeführt, daß wir nichts schreiben dürfen, was in Widerspruch zur Selbstmordthese steht, und es deswegen mehrere Verfahren gegen unsere Zeitschrift gab. Wir wollten daher einerseits einen Kontrapunkt setzen, weil die herrschende Meinung nicht unsere Meinung ist. Zum anderen gibt es die RAF seit 1998 nicht mehr, und es fehlt eine gemeinsame Aufarbeitung. Es interessieren sich jedoch viele Leute für die RAF, die aufgrund ihres Alters die damaligen Kämpfe nicht selbst miterlebt haben. Da wir die notwendige gemeinsame Aufarbeitung nicht leisten können, haben wir eine “Kurze Einführung in die Geschichte der RAF” für jüngere Leute als Buch herausgegeben, damit sie sich damit auseinandersetzen können. Es ist ein Teil unserer Geschichte, und wir haben festgestellt, daß unaufgeklärte Todesfälle im Gefängnis nicht auf die RAF beschränkt sind. So etwas passiert nicht nur politischen Gefangenen, sondern insbesondere auch migrantischen Häftlingen wie Oury Jalloh. Darüber eine Öffentlichkeit zu schaffen ist sehr wichtig. Wir können froh sein, daß es bei G20 keine Toten gab. Bei den Überlegungen im Vorfeld wurde nicht einmal ein möglicher Gebrauch von Schußwaffen völlig ausgeschlossen. Es ist sehr wichtig, den Blick für die Frage zu schärfen, mit was für einem Staat wir es hier zu tun haben. Er ist zwar in der Theorie dem “scheinbar liberalen” Grundgesetz verpflichtet, doch in der Praxis mutiert er zum Polizeistaat mit Feindstrafrecht, wie Anwältinnen und Anwälte sagen.
SB: Die Geschichte der RAF wurde von Stefan Aust und anderen uminterpretiert und gewissermaßen neu geschrieben. Wie ist sie aus deiner Sicht in der deutschen Öffentlichkeit insgesamt verarbeitet worden?
WL: Von Anfang an war eine authentische Vermittlung der Geschichte der RAF und der Haftbedingungen der Gefangenen stets sehr schwierig. Die ersten Schriften wurden zum Teil bei Wagenbach verlegt, das war zunächst das Konzept Stadtguerilla. Wenn ich mich recht erinnere, wurde bereits die zweite Schrift beschlagnahmt. Es war zum einen nicht möglich, öffentlich darüber zu reden. So gibt es Zitate entsprechender Aussagen von offizieller Seite, daß nichts Authentisches publiziert werden darf. Geduldet wurde nur eine Umdeutung, beispielsweise in Gestalt der Personalisierung, daß Andreas Baader ein Macho war und Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin ihm hörig gewesen seien. Eine authentische Vermittlung über die RAF und wofür sie steht, wurde von Beginn an verhindert und kriminalisiert. In dieses Vakuum sind Leute wie Stefan Aust gestoßen, der von so etwas gut leben kann und ganz offen mit der Polizei zusammenarbeitet. Auch Gerd Koenen oder Wolfgang Kraushaar versuchen, die Geschichte umzuschreiben, um den Aufbruch, der damals stattfand und zum bewaffneten Kampf führte, zu verfälschen.
SB: Menschen, die damals verurteilt wurden und ihre Haftstrafe verbüßt haben, sind im Zuge neuer Verfahren erneut der Strafverfolgung unterworfen worden. Die Frage der Täterschaft soll neu aufgerollt und bis ins Detail ermittelt werden. Müssen diese Menschen bis ans Ende ihrer Tage unter dem Damoklesschwert leben?
WL: Ich kann nicht für sie sprechen, weiß aber, daß es für sie klar war, als Kollektiv gehandelt zu haben. Für sie war es sekundär, wer was gemacht hat. Sie stehen für eine gewisse Etappe, in der sie in der RAF organisiert waren. Sie bekennen sich zu ihrer Verantwortung, unabhängig davon, wie genau ihre Beteiligung war. Nach dem Verständnis, das sie vermittelt haben, wurden die Aktionen gemeinsam beschlossen und dann durchgeführt. In diesem Sinne ist jeder und jede dafür verantwortlich gewesen. Wie sie später erpreßt wurden, zeigt unter anderem das Beispiel von Christa Eckes, die an Blutkrebs erkrankt war und im Sterben lag, als sie dennoch von der Bundesanwaltschaft verhört wurde. Sie hat die Aussage verweigert. Für die Gefangenen aus der RAF, die erhobenen Hauptes durchs Leben gehen, war von Anfang an klar, wenn sie sich in der Gruppe organisieren, werden sie entweder den Knast nicht überleben oder ihr Leben lang verfolgt. Das war ihre politische Entscheidung, das wissen sie. Insofern war das eine Entscheidung, die sie auch 20 Jahre später nach Auflösung der RAF beibehalten, soweit ich das mitkriege.
SB: Die ARD hat in Dominik Grafs Stuttgarter “Tatort: Der rote Schatten” die Todesnacht von Stammheim für ein breites Fernsehpublikum thematisiert. Wie bewertest du diese Verarbeitung in Gestalt eines zeitgenössischen Krimi-Szenarios?
WL: Zur Sprache kam im Tatort die Selbstmordvariante, aber andererseits auch die Möglichkeit, daß die Gefangenen von einem Spezialkommando liquidiert worden sein könnten. Daß diese Frage überhaupt in dieser Form thematisiert wird, ist auf jeden Fall zu begrüßen. Andererseits entspricht die Darstellung der Leute, die der RAF auch nach deren Auflösung zugerechnet werden, natürlich nicht der Realität. Es wurde sehr viel mit Sex & Crime gearbeitet, was nach meiner Erfahrung, die ich mit ehemaligen Gefangenen der RAF gemacht habe, nicht der Wahrheit entspricht. Es wurde wieder ein grob verzerrtes Bild gezeichnet, aber trotz alledem ist es ein erster Schritt. Die Reaktion von höchster Stelle, von Steinmeier und dann auch von Aust, der ja öffentlicher Meinungskommissar ist, zeigte, daß im Tatort etwas Richtiges angesprochen wurde. Wir haben in der Diskussion über Helge Lehmann [3] gesprochen, der Mitte der 1960er Jahre geboren wurde und daher die Ereignisse erst in ihrer späteren Darstellung mitbekommen hat. Seine Zweifel an der Version des Staates, auf welche Weise sich die Gefangenen umgebracht haben sollen, veranlaßten ihn, die offiziellen Angaben unter anderem mit Hilfe praktischer physikalischer Versuche nachzustellen. Er kam nach gründlicher Untersuchung zu dem Schluß, daß es so nicht gewesen sein kann, was er dann in Form eines Buches publiziert hat. Insofern war der Tatort überraschend, denn er hat etwas zur Sprache gebracht, was lange versiegelt schien, aber weiter verfolgt werden sollte.
SB: Du verfügst über eine langjährige Praxis, diese Thematik nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Was sind deine Erfahrungen mit solchen Veranstaltungen wie der heutigen? Wie hat sich das Interesse an diesen Inhalten über die Jahre verändert?
WL: Ich denke, wenn nach 40 Jahren immer noch mehr als 40 Leute kommen – trotz der ganzen Desinformation -, ist es auf jeden Fall wichtig, weiterhin solche Veranstaltungen zu machen. Wir haben eine entsprechende Veranstaltung in Bremen gehabt, wo insbesondere die Frage, was diese Geschichte mit heute zu tun hat, auf großes Interesse innerhalb der Linken gestoßen ist. Die Rote Hilfe Zeitung hat wegen unserer Intention bei uns einen Artikel angefragt. Es ist wichtig, den Staat so zu bezeichnen, wie er tatsächlich ist. Er konstruiert ja ein Bild von sich, das so nicht stimmt. Ich kann in diesem Zusammenhang noch eine Sache erzählen: Ich arbeite bei einem freien Radio in Hannover mit. Dabei hatte ich eine Erklärung zu den dreien verlesen, die der RAF zugerechnet und noch gesucht werden. [4] Daraufhin gab es einen heftigen Angriff gegen dieses Radio, das natürlich eine viel größere Reichweite als eine Veranstaltung hat. Die Sendung wurde als Podcast bei freien Radios veröffentlicht und erreichte dadurch Menschen im deutschsprachigen Raum von Hamburg bis Zürich und Wien. Der Sender wurde in einer ersten Reaktion unter Druck gesetzt, obgleich der gesendete Text schon beim “Gefangenen Info” durch die staatliche Zensur gegangen war. Der NDR-Journalist Stefan Schölermann, der sich rühmt, gute Kontakte zum Staatsschutz zu haben – natürlich rein professionell – hat eine Anfrage an das freie Radio gestellt, um den Sender unter Druck zu setzen. Auf diese Weise soll verhindert werden, daß unsere Öffentlichkeit, die bei Veranstaltungen natürlich nur auf bestimmte Bereiche wie hier in linken Zentren im Schanzenviertel oder Karoviertel beschränkt ist, beim freien Radio über diese Szene hinausgeht. Das heißt mit anderen Worten, daß es sehr wichtig ist, solche Veranstaltungen wie die heutige durchzuführen und die Informationen im freien Radio für breitere Kreise zu senden.
Die Geschichte wird nicht nur um ihrer selbst willen bewahrt, denn es geht ja um einen neuen Aufbruch, dessen Inhalte von denen bestimmt werden, die sagen, wir halten es nicht mehr aus. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Geschichte der RAF kritisch, aber auch solidarisch aufzuarbeiten. Wir haben in unserer Zeitung “Gefangenen Info” verschiedene Gefangene und Gruppen angesprochen, worauf es in nur einem Monat sechs Beiträge gab, vier von Gefangenen: Yusuf Tas, ein türkischer Gefangener, ein Beitrag von Thomas Meyer-Falk, einer von einer Frau, Lisa, die wegen Bankraub festgenommen wurde, und einer von Manfred Peter, der sich seit über 20 Jahren in der Forensik befindet. Die Rote Hilfe Italien hat sich ebenfalls beteiligt. Dort war nach dem 18. Oktober klar, daß es Mord war, und es hat sehr viel Solidarität gegeben. In zehn italienischen Städten wurden damals binnen kurzer Zeit Demonstrationen und militante Aktionen organisiert. Geschrieben hat auch die Gruppe Siempre Antifa aus Frankfurt, das ist eine etwas jüngere Organisation, deren Mitglieder 1977 noch gar nicht geboren waren, und die sich nun mit den Texten sehr konstruktiv, solidarisch und auch kritisch auseinandergesetzt haben. Um etwas Neues zu beginnen, muß man auch die alte Geschichte kennen und aufarbeiten.
SB: Bei der Veranstaltung im Centro sociale war einerseits natürlich die ältere Generation sehr präsent, es waren aber auch etliche jüngere Leute da. Entspricht diese Zusammensetzung deinen Erfahrungen in Bremen und bei früheren Veranstaltungen?
WL: Das Interesse ist auch bei jüngeren Leuten durchaus vorhanden. Sie äußeren sich allerdings zu diesem Thema zunächst wenig, weil sie es nicht so genau kennen. Wir hatten jedoch die Verbindung zu den G20-Protesten, an denen sie sich beteiligt haben. Aus diesem Zusammenhang sind heute jüngere Leute gekommen, die uns von dorther kennen. Es ist zwar nicht ihre eigene Geschichte, sie wollen aber etwas darüber wissen.
SB: Gibt es angesichts der G20-Gefangenen einen Anknüpfungspunkt, die Frage der Haft und insbesondere der politischen Häftlinge aufzugreifen und umfassender zu thematisieren?
WL: Wie mensch sich bei politischen Prozessen verhält, ist stets die Entscheidung der Betroffenen selbst. Es gibt Broschüren zum Thema, wie mensch sich bei solchen Prozessen verhält, inwieweit mensch Einlassungen macht und wie es damals gewesen ist. Daran besteht auf jeden Fall Interesse, und darüber hinaus muß man sich weiter auseinandersetzen.
Es ist schon hart, wenn AktivistInnen für einen Flaschenwurf auf einen gepanzerten Polizisten ein halbes Jahr in U-Haft sitzen oder eine Bewährungsstrafe kriegen. Das ist auf jeden Fall politisch anzugreifen. Der heutige Bezug ist jedenfalls in Hamburg und Bremen da, und wir müssen sehen, wie es weitergeht.
SB: Wie gehst mit deinem Informationsvorsprung hinsichtlich der Geschichte der politischen Gefangenen um, ohne belehrend rüberzukommen?
WL: Wir haben durch unsere Veranstaltungen Leute angesprochen, die unsere Idee gut fanden und sich mit Beiträgen an der Diskussion beteiligen wollen. Es ging uns eben nicht nur um die damalige Geschichte, sondern auch darum, eine Verbindung zu heute zu ziehen. Bei G20 haben die Leute gesehen, daß wir gewisse Erfahrungen haben. Auch wenn mensch nicht in politischer Hinsicht in allem übereinstimmt – ich drücke mich jetzt etwas vorsichtig aus – würde ich dort etwas sagen wollen, wo ich auch involviert bin. Dabei akzeptiere ich durchaus Positionen, die ich nicht unbedingt teile. Ich glaube, ich kann nur etwas sagen, wenn ich auch als älterer Mensch an heutigen Kämpfen beteiligt bin. Das ist dann auch nicht aufgesetzt oder vom Sessel aus.
SB: Hast du schon Pläne für die Zukunft, was Themen, Publikationen oder Veranstaltungen betrifft?
WL: Dieses Jahr wird es noch eine Veranstaltung in Leipzig geben. Im “Gefangenen-Info” wird ein Beitrag der heutigen Veranstaltung “Haben die Aussagen der Gefangenen aus der RAF heute noch Gültigkeit?” veröffentlicht. Zusätzlich werden wir von weiteren türkischen Gefangenen aus dem Münchener ATIK-Prozeß Beiträge publizieren. Auch gibt es erfreulicherweise noch zwei Texte von jüngeren Menschen.
SB: Wolfgang, vielen Dank für dieses Gespräch.
Fußnoten:
[1] Siehe dazu:
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0295.html
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0296.html
[2] Zu beziehen über kontakt@political-prisoners.net (Kostet 5 EUR.)
[3] Zur “Todesnacht in Stammheim” (Helge Lehmann) siehe:
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0126.html
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0139.html
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0141.html
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0143.html
[4] Bei den dreien soll es sich um Burkhard Garweg, Daniela Klette und Ernst-Volker Staub handeln.
29. November 2017

*Quelle: http://political-prisoners.net/item/5618-interview393-rueckblick-raf-kontinuitaet-eines-standpunktes-wolfgang-lettow-im-gespraech-sb.html

Ex-RAF-Angehörige zum Tod von Wienke Zitzlaff

Am 4. März starb Wienke Zitzlaff, die ältere Schwester Ulrike Meinhofs, in ihrem Wohnort Hannover. Ihr Tod bewegte Menschen, die ihr nahestanden, zu einem Nachruf, den sie jW übermittelten:
Wienke wollte 100 Jahre alt werden! Aber ihre fortschreitende Erblindung hat ihr zuletzt zu viel Kraft weggefressen – sie starb mit 85 Jahren.

Kennengelernt haben wir sie über ihre Schwester Ulrike, als sie sich mit anderen in der Angehörigengruppe engagierte, zum Schutz gegen die Zerstörung in der Isolation. Die Gruppe war überall präsent, tauchte in Pressekonferenzen und bei Justizministern auf, knüpfte europaweit und in die USA Kontakte.

Internationalistisch war Wienke schon geprägt aus der Zeit des Widerstands gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik in den 50er Jahren.

Wesentlich initiativ war sie auch bei der Schaffung einer internationalen Untersuchungskommission, um die Todesumstände Ulrikes zu klären. Jahre später hat sie mitgearbeitet an einer Dokumentation über »Todesschüsse, Isolation«, die beim UNO-Menschenrechtsausschuss eingereicht wurde.
Diese Aktivitäten waren konkreter Schutz für die Gefangenen und haben zu der Zeit nicht wenig polarisiert gegen die Vorherrschaft der BRD in Westeuropa.

Wienke hatte ein reiches Leben. Sie war vielseitig engagiert, als Lehrerin wegweisend für eine emanzipative Sonderpädagogik, als Feministin, in der Lesbenbewegung und hat konkret neue Lebensformen im Alter angepackt.

Sie reiste gern, ob nach Vietnam oder Kuba, sie brachte neue Erfahrungen mit, und in ihrer Wohnung vergingen kaum mehrere Tage, ohne dass Besucher bei ihr auftauchten und aufgenommen wurden. Sie hat lange und tiefe Freundschaften geschaffen. War wissbegierig, auch mal widerborstig.

Zuletzt musste sie erfahren, dass sie nachts vor ihren Augen Bilder sah, die sie bei Licht so sehr vermisste.
Wir werden sie in unserer Erinnerung behalten.

Ehemalige Mitglieder der RAF, ­Angehörige, Freundinnen und Freunde
22. März 2017

junge Welt 27.3.17

http://political-prisoners.net/item/4994-ex-raf-angehoerige-zum-tod-von-wienke-zitzlaff.html

Wienke Zitzlaff: »Ich hatte ein vertrautes Verhältnis zu meiner Schwester«

Gespräch. Mit Wienke Zitzlaff. Über Ulrike Meinhofs politischen
Werdegang, ihre Haft und die Umstände ihres Todes
junge Welt 7.5.2016

Als Ulrike Meinhof vor vierzig Jahren starb, war sie 41, ihre Schwester
Wienke 44. Die beiden hatten jede ihre eigene politische Geschichte,
über die sie sich intensiv austauschten. Nach der Verhaftung ihrer
Schwester 1972 hat Wienke sich jahrzehntelang für die Gefangenen aus der
RAF eingesetzt, gegen die Isolationshaft und für ihre Freilassung.

Ron Augustin war ab 1971 in der RAF und war von 1973 bis 1980 wegen
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in verschiedenen
Gefängnissen fast ununterbrochen in Einzelhaft

Es gibt einen Dokumentarfilm, der die Umstände des Mordes an dem ersten
Ministerpräsidenten des unabhängigen Kongo, Patrice Lumumba, erst nach
vierzig Jahren genauer bekannt machte. Als du den Film gesehen hast, der
von Thomas Giefer, einem Kommilitonen des 1974 nach einem Hungerstreik
gestorbenen RAF- Mitglieds Holger Meins, gedreht wurde1, hast du gesagt:
Vielleicht dauert es vierzig Jahre, bis wir wissen, was am 9. Mai 1976
in Stammheim war. Gibt es neue Fakten?

Nein, die Erkenntnisse der Internationalen Untersuchungskommission, die
1979 in Paris bekanntgemacht wurden2, haben so viele Ungereimtheiten in
dem von staatlicher Seite veranlassten Todesermittlungsverfahren
offengelegt, dass es bis jetzt fast nur Bemühungen gegeben hat, diese
unter den Teppich zu kehren. Ich will sie nicht noch mal alle aufzählen,
aber Ulrike soll sich an einem Fenstergitter aufgehängt haben, das von
einer Platte aus feinmaschigem Fliegengitter bedeckt war. Polizeifotos
in den Ermittlungsakten zeigen, dass der linke Fuß noch auf einem Stuhl
abgestützt war, als sie gefunden wurde. Die Schlaufe, in der sie hing,
war so lang und so zerbrechlich, dass bei einem Sprung der Kopf hätte
rausrutschen oder der Strick hätte reißen müssen. Das Fehlen von
Blutungen in den Augenbindehäuten und ähnliche Merkmale deuteten eher
auf Fremdeinwirkung, und die Untersuchungskommission kam dann auch zu
dem Schluss, dass meine Schwester tot gewesen sein muss, als sie
aufgehängt wurde.

Wen hast du im Verdacht?

Darüber kann ich nur spekulieren. Es gab aber eine Feuertreppe, ein vom
Knastverkehr total unabhängiges Treppenhaus, das von außen bis genau
neben ihre Zelle im siebten Stock führte. So konnte man sich dort
ungesehen Zugang verschaffen.

Wie hast du von ihrem Tod erfahren, und hast du sie vor der Beisetzung
noch einmal sehen können?

Also am 9. Mai morgens um neun Uhr kam in den Nachrichten, dass Ulrike
sich umgebracht hätte, und dann bin ich sofort mit ihrem Rechtsanwalt,
Axel Azzola, nach Stammheim gefahren. Als wir ankamen, war die Leiche
schon abtransportiert worden. Gudrun Ensslin (Mitglied der RAF; sie
starb am 18.10.1977 unter bis heute ungeklärten Umständen in Einzelhaft
in Stuttgart-Stammheim, jW) hatte sie sehen wollen, aber die
Bundesanwaltschaft hat es verboten. Ich musste sie vor der Obduktion
identifizieren, ansonsten durfte ich sie nicht noch einmal sehen. Azzola
hat durchgesetzt, dass wir mit Gudrun sprechen können, die habe ich dann
zum ersten Mal gesehen. Da war sie so mitgenommen, dass sie kaum
sprechen konnte. Was wir genau gesprochen haben, weiß ich nicht mehr,
aber sie hat von ihrem letzten Gespräch mit Ulrike erzählt, am Abend
davor am Fenster, wo sie beide noch gelacht haben. Am selben Tag gab es
eine Pressekonferenz der Anwälte in Stuttgart. Da bin ich aufgestanden
und habe erzählt, dass Ulrike mir klipp und klar gesagt hat, schon als
sie noch in Köln-Ossendorf war, wenn ich im Knast umkomme, dann bin ich
umgebracht worden, ich tu mir selber nichts an. Da war sie noch in einem
toten Trakt, total isoliert.

Bundesanwalt Felix Kaul hat dann in den Medien verbreiten lassen, dass
es Spannungen zwischen den Gefangenen gegeben hätte, die »die
Chefideologin der RAF in den Tod getrieben« hätten. Den Medien wurden
Sätze aus Briefen zugespielt, die das belegen sollten.

Tatsache ist, dass Sätze verbreitet wurden, die fast ein Jahr alt waren,
aus einer Auseinandersetzung, die schwierig verlief, aber nachweislich
längst vorbei war. Gudrun sprach von einem »Konsolidierungsprozess«, der
zwischen ihnen gelaufen war. Weil die Briefauszüge aus dem Zusammenhang
gerissen und teilweise gefälscht veröffentlicht wurden, haben die
Gefangenen diese ganze Korrespondenz über ihre Anwälte freigegeben. Von
den Medien ist sie dann natürlich völlig unterschlagen worden.

Zuletzt hat Ulrike zusammen mit den anderen in Stammheim an Texten für
den Prozess gearbeitet. Als sie dort am 4. Mai 1976 die Rolle der BRD im
imperialistischen Staatensystem thematisiert haben, war Ulrike nicht im
Saal, sondern in einem Besucherraum unten im Prozessgebäude, wo sie mit
Rechtsanwalt Hans Heinz Heldmann den nächsten Beweisantrag vorbereitet
hat. Dieser Antrag zur Rolle Willy Brandts und der SPD im Vietnamkrieg
ist dann von Andreas Baader im Prozess eingebracht worden. Am 6. Mai
hatte sie mit Rechtsanwalt Michael Oberwinder, wie er sagte, »eine
scharfe Diskussion, wo Frau Meinhof den Standpunkt der Gruppe dargelegt
hat« und am 7. Mai, zwei Tage vor ihrem Tod, diskutierte sie mit dem
italienischen Anwalt Giovanni Capelli die Möglichkeit, etwas aufzubauen
für die politische Verteidigung von Gefangenen in Westeuropa.

Schon 1971, als die Fahndung nach Ulrike und den anderen noch lief,
wurden »Spannungen« in der Gruppe behauptet, um sie zu denunzieren. Sie
verkörperte ja »die Stimme der RAF«, und es gibt bis heute nicht wenige,
die sie gerne als »Verführte« darstellen, um sie »zurück ins Bürgertum
zu retten«, wie die Süddeutsche Zeitung unlängst schrieb. Dabei wird
geflissentlich vergessen, dass sie eine Kommunistin war, mit einer
langen politischen Geschichte, die bis in die fünfziger Jahre
zurückreichte. Ich denke, dass ich relativ wenig anfällig war für die
offiziellen Versionen, weil ich ein vertrautes Verhältnis zu meiner
Schwester hatte.

Wann hast du sie zuletzt lebend gesehen?

Der letzte Besuch war im März 1976. Danach, also nach ihrem Tod, habe
ich Jan Raspe, Gudrun und Andreas besuchen können, da hat sich im
Arbeitszusammenhang, zur Bildung einer internationalen
Untersuchungskommission, ein Vertrauensverhältnis entwickelt. Ich hatte
immer anderthalb Stunden Besuch, jeweils mit einem von ihnen, das waren
meistens vormittags, nachmittags und am nächsten Tag noch mal anderthalb
Stunden. Das bedeutete, dass die Gefangenen untereinander reden konnten,
was sie mit mir geredet hatten, so dass nicht alles wiederholt werden
musste (die Gefangenen in Stammheim hatten seit Anfang des Prozesses
gegen sie täglich gemeinsam Hofgang und stundenweise »Umschluss«, jW).
Und meistens war Gudrun die letzte, mit der ich sprach. Das ging dann
oft so, dass wir sagten, ihr habt schon alles geredet, sag doch mal, wie
es dir geht, und lauter solche Sachen. Wir haben uns gut verstanden. Das
war auch das Beeindruckende bei all diesen Begegnungen. Deshalb bin ich
so empfindlich gegen die lächerlichen Verzerrungen in den Medien. Du
hast einfach mit Menschen zu tun gehabt, die in der konkreten Situation
sich konkret verhalten. Das ist ungeheuer hilfreich.

Kommen wir zu den Haftbedingungen. Dein erster Knastbesuch war eine
Woche nach Ulrikes Verhaftung im Juni 1972. Hat sie dir erzählt, was
alles mit ihr angestellt worden war, bevor ihr Anwalt zu ihr gelassen wurde?

Die Besuche waren immer im Beisein von Staatsschutzbeamten. Meistens war
da der Alfred Klaus vom BKA dabei, der »Familienbulle«, der die ersten
»Psychogramme« von RAF-Mitgliedern erstellt hat. Über vieles konnte
nicht gesprochen werden, weil mit Abbruch des Besuchs gedroht wurde. Vom
Anwalt wusste ich aber, dass er erst vier Tage nach ihrer Verhaftung zu
ihr gelassen wurde, nachdem an ihr unter Androhung einer Äthernarkose
eine ganze Latte von entwürdigenden körperlichen Untersuchungen
vorgenommen worden war. Auch muss sie geschlagen worden sein, sie hatte
überall blaue Flecken. Jutta Ditfurth hat das in ihrem Buch noch mal
alles beschrieben.3

Ulrike war in Köln-Ossendorf in einem toten Trakt, das heißt in einer
auch akustisch isolierten Abteilung, ohne andere Gefangene.
Isolationshaft kannten wir schon aus der Zeit des KPD-Verbots. Von den
Kommunisten, die in den fünfziger Jahren eingesperrt waren, wussten wir,
dass sie Klopfzeichen benutzten, um miteinander von Zelle zu Zelle zu
kommunizieren. Ulrike war aber alleine im Trakt, da gab es nichts zu
klopfen. Ich habe ihr von meiner Erfahrung mit Schwerstbehinderten
erzählt, deren Isolation in dieser Gesellschaft, und dem Kampf dagegen,
weil Isolation einen Menschen so fürchterlich reduziert. Sie hat dann,
nachdem sie erst acht Monate und dann noch mal wochenweise im toten
Trakt gewesen war, diesen Text geschrieben, der mit dem Satz anfängt,
»das Gefühl, es explodiert einem der Kopf …«4, wo sie beschreibt, was
da abläuft.

Die Bundesanwaltschaft hat dann versucht, sie für ein Gutachten über
ihren Geisteszustand in eine psychiatrische Anstalt einzuweisen. Als das
nicht lief, wurde eine Gehirn-Szintigrafie unter Zwangsnarkose
angeordnet, unter dem Vorwand, dass Ulrike einen Gehirntumor hätte, der
ihre Unzurechnungsfähigkeit beweisen könnte oder einen chirurgischen
Eingriff rechtfertigen würde. Was von den Medien immer wieder in einen
Gehirntumor uminterpretiert wird, ist ein harmloser Blutschwamm, der
während ihrer Schwangerschaft 1962 festgestellt und behandelt wurde.
Obwohl die Bundesanwaltschaft das genau wusste, hat sie es benutzt, um
Ulrikes Zurechnungsfähigkeit in Frage zu stellen. Die
Psychiatrisierungsversuche konnten nur durch die Mobilisierung einer
breiten Öffentlichkeit im In- und Ausland verhindert werden.

Ulrike wird immer wieder so dargestellt, als ob sie sich von anderen,
insbesondere Andreas, hat verführen und ausnutzen lassen. Dabei war sie
diejenige, die die längste politische Erfahrung hatte, eine der
beredtesten Wortführerinnen der Studentenbewegung, konsequenter als
viele aus der Zeit. Und sie hatte einen verflucht starken Charakter. In
der Illegalität und im Knast war sie identisch mit sich selbst, hat
geschrieben, gekämpft, zusammen mit den anderen. Die Klischees in den
Medien sind immer dieselben, von ihrem früheren Ehemann Klaus Rainer
Röhl und dessen Freund Stefan Aust schon vor 45 Jahren vorgestanzt, um
»die Stimme«, also die politische Identität der Gruppe, in ihr auszulöschen.

Du warst Rektorin einer Sonderschule in Hessen, hast du an deinem
Arbeitsplatz oder sonst wo nie Probleme gehabt wegen der Geschichte mit
deiner Schwester?

Doch. Die ganze Zeit von 1970 bis ’72, als Ulrike noch gesucht wurde,
bin ich permanent von der Polizei observiert worden. Wo immer ich
hinfuhr, wurde ich von der Polizei überwacht, meistens ganz offen.
Zweimal ist der Alfred Klaus vom BKA zu mir gekommen und hat verlangt,
dass ich meine Schwester treffen und sie dazu überreden sollte, dass sie
sich stellt, weil sie sonst mit Sicherheit erschossen werden würde.

Dann hatte die CDU ihren Wahlkampf in Hessen 1974 damit eröffnet, dass
sie die SPD wegen deren Schulreform angegriffen hat, wobei das
schlimmste Beispiel die Schwester von Ulrike Meinhof sei. Nun war ich
nicht in der SPD, von daher war es egal. Aber es war klar, sie wollten
der Landesregierung anhängen, dass ich mich in meiner Schule halten
kann, und das hat sich die ganzen Jahre so durchgezogen. Es ging
natürlich auch um meine politischen Stellungnahmen. Ich war eine Linke,
habe in bezug auf die Behindertenpädagogik eine fundamentale
Gesellschaftskritik formuliert, auch bundesweit, aber ich war auch
solidarisch mit meiner Schwester, habe mich nicht von ihr distanziert.

Ich bin während des Hungerstreiks der Gefangenen 1974 einmal verhaftet
worden im Rahmen der Komiteearbeit. Das kam nachher durchs Fernsehen,
und da war der Elternratsvorsitzende, ein Gleisbauarbeiter, eine halbe
Stunde später bei mir zu Hause, um nachzusehen, wie es mir geht, und hat
eine Elternversammlung einberufen, wo die Eltern gesagt haben, so geht
man nicht mit unserer Rektorin um. Also da war was, ein Stück
Solidarität, das war den Schulbehörden natürlich ebenfalls ein Dorn im
Auge. Ich habe mich schließlich vorzeitig pensionieren lassen, das ist
dann auch akzeptiert worden. Die waren froh, mich loszuwerden.

Nach der Pressekonferenz der Internationalen Untersuchungskommission in
Paris 1979 durfte ich bis 1992 auch keine Besuche bei Gefangenen mehr
machen, weil ich die »Sicherheit und Ordnung der Anstalt« gefährde.

Wie hast du mit Ulrike über die jeweiligen politischen Entwicklungen
diskutiert? Hast du die Entscheidungsmomente zur RAF irgendwie mitbekommen?

Ulrike und ich haben jede eine eigene linke Geschichte, wobei wir sehr
viel Austausch auch miteinander gehabt haben. Also sie hat zum Beispiel
zu Hilfsschulkindern gearbeitet, und ist dafür in der Schule gewesen, in
der ich gearbeitet habe. Sie hat viel dazu beigetragen, dass ich die
ganzen Bücher der Pädagogen der zwanziger Jahre bekam, weil es die
damals nur als Raubdrucke gab und sie die besorgen konnte. Wir haben uns
beide in der Bewegung gegen die Wiederbewaffnung (landesweite Proteste
gegen die Wiedereinführung militärischer Strukturen in der BRD in den
1950er Jahren, jW) politisiert, waren an der Gründung der Deutschen
Friedens­union beteiligt, als Versuch, ein breites linkes Bündnis zu
bilden. Ulrike ist dann noch fünf Jahre Mitglied der illegalen KPD
gewesen. Danach radikalisierte sich der Sozialistische Deutsche
Studentenbund, SDS, und bildete sich die APO, die außerparlamentarische
Opposition der sechziger Jahre.

Ulrike hatte ihr Studium abgebrochen, um sich ganz der journalistischen
Arbeit zu widmen, also hauptsächlich in der Redaktion von Konkret, aber
daneben für andere Blätter, Rundfunk und Fernsehen. Sie war eine der
wichtigsten Stimmen im Aufbruch der Studentenbewegung. Um ihre gründlich
recherchierten Hintergrundartikel rissen sich alle. Wenn wir Schwestern
uns sahen, sprachen wir über unsere Kinder, aber auch über die
innenpolitische Lage, die Befreiungsbewegungen, Vietnam. Im Februar 1968
fand der Internationale Vietnamkongress statt. Ulrike war vier Tage
zuvor nach Berlin umgezogen. Im Oktober lief dann der Prozess wegen der
Frankfurter Kaufhausbrände, wo sie Andreas und Gudrun kennenlernte. Sie
hat mir erzählt, wie sehr sie von ihren politischen Vorstellungen
beeindruckt war. Mit Konkret hatte sie schon nicht mehr viel am Hut, wie
sie auch in einem ihrer letzten Artikel unter dem Titel »Kolumnismus«5
zum Ausdruck gebracht hat. Sie hat noch an dem Film »Bambule«
gearbeitet, hat in einer Stadtteilgruppe im Berliner Märkischen Viertel
mitgemacht, hat vor allem international wichtige Diskussionen geführt.

Ich wusste nicht, dass Ulrike an dem Versuch beteiligt war, Andreas
Baader zu befreien. Sie hatte mir aber erzählt, dass er festgenommen
war, dass er irgendwie wieder aus dem Knast raus musste. Sie ist vier
Wochen bevor sie untergetaucht ist, bei mir gewesen, um sich zu
vergewissern, dass ich mich um ihre Kinder kümmere, falls etwas
passiert. Als dann durch die Nachrichten kam, dass Andreas befreit war,
war für mich klar, dass sie etwas damit zu tun hatte. Da war sie noch
gar nicht in den Nachrichten, aber ich bin sofort nach Hause gefahren,
damit ich die Kinder nehmen kann. Das mit den Kindern ist letztlich
anders gelaufen. Aber ihre Entscheidung stand dann jedenfalls fest.
Selbst hat sie den Schritt später damit begründet, dass für sie
»politische Opposition und Illegalität identisch geworden sind«.

Anmerkungen

1 Thomas Giefer: Mord im Kolonialstil. Reihe Assassinats Politiques,
L’Harmattan, Paris 2008

2 »Der Tod Ulrike Meinhofs« Bericht der Internationalen
Untersuchungskommission, www.socialhistoryportal.org/raf/5520

3 Jutta Ditfurth: Ulrike Meinhof. Die Biographie. Ullstein Verlag,
Berlin 2007

4 Ulrike Meinhof, »Zu den Wirkungen des toten Trakts«,
www.socialhistoryportal.org/raf/text/307155

5 In: Ulrike Marie Meinhof: Die Würde des Menschen ist antastbar. Verlag
Klaus Wagenbach, Berlin 1980

Deutschland: Solidarität, Liebe und Kraft

Mitte Januar ist der Fahndungsdruck auf ehemalige Kämpfer*innen der RAF deutlich gestiegen. Für Burkhard, Dani und Volker bedeutet das, fast 20 Jahre nach Auflösung der RAF und nach über 25 Jahren in der Illegalität eine massive und konkrete Bedrohung ihrer sowieso schon schwer aufrecht zu erhaltenden Freiheit, ihrer Gesundheit, und nach allen Erfahrungen mit bei der Festnahme getöteten RAF-Kämpfer*innen auch ihres Lebens.

Der Hauptvorwurf gegen sie ist die Sprengung des Hochsicherheits- und Abschiebeknasts in Weiterstadt.
Dieser erfolgreiche Angriff auf ein im Bau befindliches Gebäude, in dem die BRD ihre menschenverachtende Straf- und Abschiebepolitik durchsetzen wollte, wäre unter normalen Umständen wahrscheinlich verjährt.
Für Dani, Burkhard und Volker gilt das nicht, gegen sie werden die Sonderparagrafen 129 und 129a angewandt. Das bedeutet für sie ein dauerhaftes Leben in der Illegalität oder die Gefahr einer lebenslangen Inhaftierung.

Wir haben Respekt für ihre Entscheidung für die Freiheit und gegen die Bullen.

Wir wünschen unseren ehemaligen Mitbewohner*innen Freiheit, Glück und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel.

Liebe und Kraft

Für die Einstellung aller Verfahren und das Ende der Fahndung.

Bewohner*innen der Hafenstraße

Februar 2016

http://political-prisoners.net/item/4114-solidaritaet-liebe-und-kraft.html