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Spanien: »Verbot war eindeutig rechtswidrig«

Vor einem Jahr ging spanische Justiz gegen Internationalisten vor. Prozess hat bis heute nicht begonnen. Gespräch mit Manuel Sánchez

Interview: Kevin Hoffmann

Ihre Plattform wurde kurz nach der Verhaftung von mehreren Internationalisten am 27. Januar 2016 gebildet. Was war der Grund für diese Verhaftungen?

Die Operation wurde durchgeführt, um die Solidarität von Kommunisten aus Spanien mit Rojava und Kurdistan zu unterdrücken, sowie jede Aktivität gegen das türkische Regime im spanischen Staat anzugreifen. Das Innenministerium arbeitete dabei mit der Nationalen Polizei (Cuerpo Nacional de Policía, jW) zusammen. Die Razzia, die zu den Festnahmen führte, war eine gemeinsame Operation. Der spanische Staat hat dafür die Beteiligung zweier Kommunisten an dem Internationalen Freiheitsbataillon in Rojava als Anlass genommen. Die beiden Brigadisten haben in Rojava gegen den »Islamischen Staat« gekämpft, so wie in den 1930er Jahren Zehntausende uns im Kampf gegen den faschistischen Putsch in Spanien unterstützt haben.

Was wirft die spanische Justiz den Betroffenen vor?

Die beiden Brigadisten und ihre Organisation, die PML-RC (Marxistisch-Leninistische Partei – Kommunistischer Wiederaufbau, jW) werden wegen ihrer angeblichen Zusammenarbeit mit der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, angeklagt. Tatsächlich haben die Brigadisten in Rojava mit den Volksverteidigungseinheiten, YPG, und den Einheiten der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei der Türkei und Kurdistans, MLKP, zusammen gekämpft. Im Unterschied zur PKK sind die YPG und auch die MLKP im spanischen Staat nicht verboten, ebensowenig wie deren Unterstützung oder die Zusammenarbeit mit ihnen. Insofern ist das daraufhin verhängte Verbot der PML-RC für uns eindeutig rechtswidrig.

Warum konnte trotzdem eine derart schwerwiegende Anklage vorgebracht werden?

 

Während der Durchsuchung der Räume, die die Polizei der PML-RC zuordnete, wurde ein kleines Gefäß mit Pflanzendünger gefunden. Die Polizei schlussfolgerte daraus, dass die Organisation »explosives Material« zum möglichen Bombenbau besitze.

Wie ist der aktuelle Stand des Verfahrens?

Das Gerichtsverfahren befindet sich derzeit immer noch in der Vorbereitung. In einem ganzen Jahr hat die Staatsanwaltschaft es nicht geschafft, die Untersuchung gegen die Angeklagten abzuschließen. Doch zwischen dem 27. und 30. Januar muss ein Richter über das weitere Verbot der Organisation PML-RC und ihrer Aktivitäten entscheiden, da das verhängte auf ein Jahr befristet war. Um es jetzt zu verlängern, müsste die Staatsanwaltschaft neue Argumente vorbringen.

Was erwartet die Angeklagten?

Das ist natürlich schwer zu sagen, wenn man darauf wartet, dass der Prozess überhaupt beginnt. Im Raum steht die Strafandrohung von bis zu 20 Jahren Gefängnis für 14 Personen. Der vorgeworfene Besitz explosiven Materials reichte bereits als Rechtfertigung dafür, den Generalsekretär der PML-RC zwei Monate in Isolationshaft zu halten. Aber eins ist ganz klar, sollte es ein wirklich faires Gerichtsverfahren geben, dann werden die Angeklagten von allen Anklagepunkten freigesprochen werden.

Gibt es Solidarität mit den Betroffenen?

Es gibt zahlreiche Aktionen von Gruppen aus Spanien, Parteien halten sich an der Stelle eher zurück. Auch aus anderen Ländern erreichten uns Erklärungen. Momentan befinden wir uns mitten in einer Aktionswoche zum Thema, bei der zahlreiche Gruppen aus dem In- und Ausland sich unserer Forderung nach einer Freilassung der Internationalisten angeschlossen haben.

https://www.jungewelt.de/2017/01-26/040.php

Repressionen gegen Internationalisten

Ausländer, die gegen den »Islamischen Staat« kämpfen, sind von juristischer Verfolgung bedroht

Von Kevin Hoffmann, Istanbul

 

Wer sich entscheidet, als Internationalist nach Rojava (so werden die de facto autonomen Kantone im Norden Syriens von der kurdischen Bewegung genannt) zu gehen, um gegen den »Islamischen Staat« (IS) zu kämpfen, geht ein hohes Risiko ein. Man setzt sich dabei nicht nur der Gefahr durch Angriffe islamistischer Banden und türkischer Truppen aus. Auch Soldaten der syrischen Regierung liefern sich mitunter Auseinandersetzungen mit dem aus den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und anderen Kräften gebildeten Militärbündnis »Syrische Demokratischen Kräfte« (SDF).

Außerdem geht die kurdische Regionalregierung unter Masud Barsani im Nordirak, die in Gegnerschaft zu den kurdischen Kräften in Syrien steht, mit allerlei Schikanen gegen die Internationalisten vor. Als Vorwand dienen vor allem abgelaufene Visa oder »irreguläre« Grenzübertritte von Syrien in den Irak. Nachrichtenportale wie Hawar News Agency (ANHA) berichten von zahlreichen Festnahmen durch die Sicherheitskräfte Barsanis. Erst am 29. November wurde der 25jährige Kanadier Patrick Ryan Kasprik festgenommen. Am 4. Dezember berichtete die Zeitung National Post von einem weiteren Kanadier, Kay Kennedy, der im Irak festgesetzt worden war. Zwar sind beide – wie auch die anderen 2015 und 2016 festgehaltenen Internationalisten – nach einigen Tagen oder Wochen wieder freigelassen worden, ihre Stigmatisierung als angebliche Verbrecher bleibt jedoch bestehen.

Bereits am 6. August 2015 hatte ANHA berichtet, dass einige Ausländer in eine Zelle mit IS-Kämpfern gesperrt worden seien. »Ich bin mir sicher, dass die KRG (die kurdische Regionalregierung im Nordirak; jW) das absichtlich tut, um die YPG und vor allem die Ausländer zu schikanieren. Sie tun es wohl, um der Türkei zu gefallen«, wird Kennedy nach seiner Freilassung in einem Beitrag der Zeitung Vancouver Sunvom 6. Dezember zitiert.

Auch in Europa werden Internationalisten verfolgt: Die wohl heftigste Repression traf am 27. Januar 2016 die spanische kommunistische Organisa­tion »Partido Marxista Leninista (Reconstrucción Comunista)« Neun ihrer Mitglieder wurden an jenem Tag verhaftet. Zwei Tage später ordnete der Staatsgerichtshof die »Aussetzung« der politischen Tätigkeit der Gruppe für ein Jahr an. Damit ist sie de facto vorläufig verboten. Zuvor hatten sich zwei Mitglieder am Kampf gegen den IS und dem Aufbau eines Internationalen Freiheitsbataillons (IFB) in Rojava beteiligt. Nach mehreren Wochen Untersuchungshaft mussten sie wieder freigelassen werden. Der Beginn des Prozesses gegen sie wird laut der spanischen Solidaritätsgruppe »Plataforma de Detenidos del 27E« für nächstes Jahr erwartet.

In Dänemark ist die 23jährige Joanna Palani zur Zeit für ihr Engagement in Haft. Laut eines Onlineartikels der britischen Zeitung Daily Mailvom 13. Dezember reiste Palani 2014 nach Rojava. Dort kämpfte sie zunächst in den Reihen der YPG und schloss sich danach Kämpfern im Nordirak an. Als sie 2015 zurück nach Dänemark reiste, wurde ihr Pass vom dänischen Geheimdienst PET beschlagnahmt. Im September 2015 wurde ihr schließlich verboten, für den Zeitraum von einem Jahr das Land zu verlassen. Wegen eines Verstoßes dagegen muss sie nun eine sechsmonatige Haftstrafe absitzen, so Daily Mail.

Verfahren gegen deutsche Internationalisten sind bisher noch nicht bekannt. »Als Revolutionäre sind wir nicht überrascht, dass die Regierungen diejenigen unterdrücken, die an der antikapitalistischen Revolution in Rojava teilnehmen, wenn sie zurückgehen.«, erklärt Heval Dersim, eine aus England stammende Kämpferin des IFB, im Gespräch mit jW. Man habe Vorsichtsmaßnahmen gegen mögliche Repressionen getroffen, so Dersim weiter. Sie ist sich sicher: »Wir werden immer in der Lage sein, dorthin auf der Welt zu reisen, wo der Kampf für eine gerechte und gleichberechtigte Gesellschaft uns hinführt.«

https://www.jungewelt.de/m/artikel/299307.repressionen-gegen-internationalisten.html

«Teufelskreis aus Angst und Stress»

Seit April sitzt die baskische Aktivistin Nekane Txapartegi in Auslieferungshaft. In Spanien drohen ihr fast sieben Jahre Haft. Die WOZ hat sie im Frauengefängnis in Dielsdorf besucht.

Von Merièm Strupler

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Im Kostüm baskischer Karnevalsvorboten: Solidaritätsdemonstration für Nekane Txapartegi am 24. September in Bern.

Hinter der Trennscheibe sitzt eine zierliche Frau mit braunen, schulterlangen Haaren. Die Trennscheibe geht bis zur Decke hoch, teilt den ohnehin schmalen, kargen Raum in zwei Hälften. Die Frau auf der anderen Seite ist Nekane Txapartegi. Jahrelang war die 43-jährige Aktivistin auf der Flucht vor dem spanischen Staat, bis sie im April in Zürich verhaftet wurde. Hier im Frauengefängnis Dielsdorf haben wir exakt sechzig Minuten Zeit.

WOZ: Frau Txapartegi, Sie nennen sich politische Gefangene. Warum?
Nekane Txapartegi: Ich fühle mich gleich wie die anderen Gefangenen hier. Aber ich nenne mich politische Gefangene, weil ich wegen meiner politischen, antikapitalistischen, feministischen Überzeugungen verhaftet, gefoltert und verurteilt wurde. Und ich kämpfe weiter gegen dieses System. Ich bin aber solidarisch mit den anderen Gefangenen. Ich helfe, wo ich kann.

Wie das?
Etwa mit der Sprache. Viele hier drin können kaum oder kein Deutsch. Viele hier haben keine Unterstützung von draussen und sind in einer anderen Situation als ich. Ich meine, das Gefängnis ist voll von Armen, wirklich. Draussen tun sie Dinge, gegen die ich nichts habe, aber die nicht gegen das System an sich gerichtet sind, zumindest nicht bewusst. Manchmal überrascht mich die Angst der anderen Gefangenen, was sie alles akzeptieren. Bei mir wissen die Wärter, dass sie nicht alles machen können. Ich wehre mich.

Nekane Txapartegi: «Ich glaube an internationale Solidarität und an den politischen Druck.»

Nekane Txapartegi: «Ich glaube an internationale Solidarität und an den politischen Druck.»

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Txapartegi zu besuchen, war nicht einfach. Die Direktion der Untersuchungsgefängnisse Zürich verweigerte eine Medienbewilligung, das Treffen wird also von ihrem Besuchskontingent für Familie und FreundInnen abgezogen. Die Gefängnisleitung verbot, dass das Gespräch aufgenommen wird. Die Medienstelle des Amts für Justizvollzug verlangte erst, den Artikel vor Drucklegung lesen zu können – wollte dann aber «nicht unnötig das Bild einer Zensurbehörde heraufbeschwören».

Frau Txapartegi, werden Sie anders behandelt als die anderen Inhaftierten?
Lesen die Wärter und Polizisten meine Akte, werden sie nervös. Nicht wegen meines Verhaltens, sondern wegen dem, was in der Akte steht. In der Kaserne in Zürich musste ich sogar in Handschellen in den Hofgang – für mich galt die höchste Sicherheitsstufe.

Sie wurden am 6. April in Zürich verhaftet und sind nun über sieben Monate im Gefängnis. Wie geht es Ihnen?
Es ist ein Überlebenskampf. Unsere Zeit gilt nichts hier drin. Und es herrschen patriarchale Strukturen – als Frauen werden wir zweimal bestraft. Weil wir unsere Rolle in der Gesellschaft nicht akzeptiert haben und weil Gefängnisse nun mal von Männern für Männer gemacht sind. Das Gefängnis ist ein Spiegel der Gesellschaft. Draussen sind es grössere Zusammenhänge, Kapitalismus, Sexismus … aber hier drin werden die Machtstrukturen sehr deutlich sichtbar.

Worin zeigt sich das?
Zum Beispiel dürfen wir uns nicht schminken, im Gefängnis in Zürich durfte man keine zu knappe Kleidung tragen. Man kontrolliert und isoliert uns – sozial, sprachlich, körperlich, sexuell. Sie nehmen uns alles.

Wie geht es Ihnen psychisch?
Die Erinnerungen an die Folter im Kommissariat der Guardia Civil kommen wieder hoch. Diese Bilder, diese Ängste – ich habe so lange versucht, sie zu vergessen. Aber nun werde ich wieder zurückgeworfen in diesen Albtraum. Ich bin in einem Teufelskreis aus Angst und Stress. Im Alltag erinnert mich vieles an das Kommissariat. Das Geräusch des Schlüssels bringt mich zurück dorthin. Die Türen, die ins Schloss fallen. Öffnen sie als Nächstes die meiner Zelle? Wenn ich auf der Toilette sitze und plötzlich geht die Tür auf …


Die Ereignisse, an die sich Txapartegi erinnert, liegen fast zwanzig Jahre zurück. Als 22-Jährige war sie zur Gemeinderätin der baskischen Linkspartei Herri Batasuna im Dorf Asteasu gewählt geworden. Drei Jahre später startete der spanische Staat eine neue Repressionsstrategie gegen die baskische Unabhängigkeitsbewegung. Unter dem Motto «Todo es ETA» (Alles ist Eta) wurden Hunderte baskische BürgerInnen verhaftet – AktivistInnen, Journalisten und Politikerinnen. Darunter auch die damals 26-jährige Gemeinderätin Txapartegi. 1999 von der Guardia Civil festgenommen, war sie während fünf Tagen in der sogenannten Incommunicado-Haft. Für diese Praxis von Isolationshaft ist Spanien bereits mehrfach von der Uno gerügt worden.

Laut Amnesty International und humanrights.ch ist Txapartegi bei der Verhaftung und in Polizeigewahrsam schwer gefoltert worden. Auf dem Weg ins Kommissariat habe man ihre Hinrichtung vorgetäuscht. Im Verhör verweigerte Txapartegi die Aussage – um das Geständnis zu erzwingen, sie sei eine Mittelsfrau der Eta, hätten die Polizisten die junge Frau verprügelt, mit Stromschlägen traktiert, begrapscht und vergewaltigt. Die Verletzungen sind belegt durch medizinische Berichte aus der Polizeihaft und dem Gefängnis, in das Txapartegi anschliessend transferiert wurde.

Sie sagten, die Erinnerungen seien jetzt wieder hochgekommen. Wie gingen Sie vorher mit diesen Traumata um?
Bis jetzt konnte ich funktionieren, weil ich einen Schutzwall errichtet hatte. Im Baskenland habe ich nach meiner Entlassung mit Folteropfern gearbeitet, das hat mir geholfen. Jetzt kann ich diesen Selbstschutz nicht mehr aufrechterhalten. Ich kann nicht mehr trennen zwischen dem, was passiert ist, und mir selbst. Es ist mir passiert.

Bei Ihrer Verhaftung im April ist dieser Schutzwall eingestürzt?
Als ich in Zürich verhaftet wurde, habe ich auf dem Polizeiposten die Leibesvisitation verweigert. Ich wollte mich nicht ausziehen. Da haben sie mir gedroht, dass meine Tochter in ein Heim kommt. So konnten sie mich erpressen. Die Trennung von meiner Tochter ist mein schwacher Punkt. Das wussten sie genau.

Warum hat Sie gerade dies an die Folter erinnert?
Im Kommisariat hatten sie mir gesagt, sie würden mich so sehr foltern, dass ich nie mehr Kinder kriegen könnte. Lange Zeit hatte ich geglaubt, das sei ihnen gelungen. Sie haben meinen Körper als Kriegsfeld benutzt. Und dann – in Freiheit – bekam ich meine Tochter. Mit meiner Kleinen zu leben, das hiess für mich: Ich habe es geschafft. Ich habe es überwunden. Meine Tochter gab mir sieben Jahre lang Halt und Kraft, um zu kämpfen. Nun bin ich von ihr getrennt. Es ist sehr schwierig, aus diesem Albtraum herauszukommen. Es hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen.


Nach dem erzwungenen Geständnis wurde Txapartegi Ende 1999 auf Kaution freigelassen. Während ihrer Untersuchungshaft war sie als Gemeinderätin mit 45 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Acht Jahre später wurde sie in einem Massenprozess zusammen mit 46 anderen wegen «Unterstützung einer terroristischen Vereinigung» verurteilt (siehe WOZ Nr. 23/2016). Dieselben Polizisten, die im Verdacht stehen, sie gefoltert zu haben, wurden von der Staatsanwaltschaft als «Experten» vorgeladen. Txapartegi wurde zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.

Unmittelbar nach ihrer Freilassung hatte Txapartegi Anzeige gegen die Polizeibeamten erstattet. Die Untersuchung gegen die mutmasslich an der Folter beteiligten Polizisten verlief stockend. Der Untersuchungsrichter soll sich geweigert haben, die beschuldigten Beamten vorzuladen. 2008 wurde das Verfahren eingestellt.

Eine Kommission der baskischen Regionalregierung hat über 4300 Fälle von Folter dokumentiert, die sich zwischen 1960 und 2013 ereignet haben. Bei fast neunzig Prozent der genauer untersuchten Fälle handelte es sich um die Folterung von Personen unter Terrorismusverdacht in Incommunicado-Haft. Wie bei Txapartegi. 2007 tauchte sie unter und floh aus Spanien. Seitdem lag ein internationaler Haftbefehl gegen sie vor. Die letzten Jahre lebte sie mit ihrer Tochter in Zürich.

Wieso sind Sie untergetaucht?
Im damaligen politischen Kontext hatten wir keine Chance. Wir wussten, dass wir verurteilt würden. Deswegen bin ich geflohen. Ich wollte nicht nochmals Folter erleben. Und ich akzeptiere das Urteil nicht – weil es eben unter Folter erzwungen wurde. Wir wurden nicht für unsere Taten verurteilt, sondern für unsere Ideen. Das sind politische Entscheide, keine juristischen.

Sie haben fast neun Jahre im Untergrund gelebt. Wie muss man sich das vorstellen?
Das war nicht einfach. Während dieser Zeit existierte ich nicht wirklich. Es ging ja nicht nur um mich, im Mittelpunkt stand meine Tochter – sie wollte ich schützen. Ich musste somit auch irgendwie sichtbar sein, zum Beispiel an ihrer Schule. Gleichzeitig musste ich meine Identität verstecken. Ich konnte meine politischen Ideen und meine Meinung nicht äussern. Und es war schwierig einzuschätzen, was gefährlich ist oder werden könnte.

Wie meinen Sie das? Was war schwierig einzuschätzen?
Mir war wichtig, dass meine Tochter die Angst nicht übernimmt, sondern so normal wie möglich leben kann. Aber am Quartierleben teilzunehmen oder Freundschaften zu vertiefen, war schwierig. Es war ein Doppelleben, wie ein grösseres Gefängnis. Ich musste eine Balance finden: Meine feministischen Ideen habe ich meiner Tochter weitergegeben, aber politisch aktiv zu sein, wäre zu gefährlich gewesen.

Demnächst werden die Schweizer Behörden entscheiden, ob Sie Asyl erhalten oder ausgeliefert werden. Was erwarten Sie?
Ich denke, letztlich wird sich die Schweiz politisch entscheiden. Für den Schweizer Staat gehen die diplomatischen Beziehungen mit Spanien vor – nicht die Menschenrechte. Ich habe kein Vertrauen in die Behörden und in die Justiz. Es ist ja nicht nur mein Fall, es geht hier um systematische Folter. Aber ich frage mich schon: Wenn Human Rights und Amnesty International bestätigen, dass ich gefoltert wurde – wie kann die Schweiz dann so frech sein, einfach darüber hinwegzusehen?

Sie denken, die Schweizer Behörden glauben Ihnen nicht?
Wir sind wie Marionetten in deren Händen. Nachdem ich der Frau beim Migrationsamt von der Folter erzählt hatte, fragte sie mich: «Was können Sie sonst noch vorweisen?» Sie hat mir nicht geglaubt. Es fehlte ihr völlig an Empathie. Nach der Befragung war ich alleine in meiner Zelle. Ich hatte keinerlei psychologische Betreuung. Wie wird dann erst mit anderen Flüchtlingen umgegangen – zum Beispiel jenen aus Syrien?

Sie scheinen trotz Ihrer Situation viel Kraft zu haben …
Sie haben mich gefoltert, weil ich politisch aktiv war. Gemeinsam zu kämpfen, das gibt mir Halt. Ich werde die Hoffnung nicht verlieren. Ich glaube an internationale Solidarität und an den politischen Druck. Wir können die Augen nicht verschliessen, wenn sie über unser Leben entscheiden.

Sie werden von der Solidaritätsgruppe «Free Nekane» unterstützt, es gibt Kundgebungen vor dem Gefängnis. Ist es nicht seltsam, wenn Ihnen Leute Briefe schreiben, die Sie gar nicht kennen?
Nein, das freut mich. Briefe sind meine Augen und meine Stimme nach draussen. Es muss auch nicht so politisch sein, das ist egal. Politisches Bewusstsein habe ich ja genug. Aber Solidarität, Berichte, wie das Wetter draussen ist und was sonst so passiert – das in meine Zelle zu bringen, das ist schön und tut mir gut. Ich warte jeden Tag auf Briefe. Das ist wirklich schön.


Hinter Nekane Txapartegi wird eine schwere Metalltür aufgeschlossen. «Zeit ist um», sagt die Gefängnisangestellte in Uniform. Der Abschied ist abrupt. Raus aus dem geteilten Besucherraum, Handy und Tasche aus dem Schliessfach. Draussen vor den Toren blendet die Herbstsonne. Wenn dieser Text erscheint, ist Txapartegi bereits ins Zürcher Bezirksgefängnis verlegt worden. In den nächsten Tagen wird der Entscheid über ihre Auslieferung fallen.

AUSLIEFERUNG AN SPANIEN

Starke Indizien für die Folter

Der Entscheid, ob die in der Schweiz inhaftierte baskische Aktivistin Nekane Txapartegi ausgeliefert wird oder in der Schweiz Asyl erhält, wird demnächst fallen. Während Txapartegi selbst davon ausgeht, dass ihr Asylgesuch abgelehnt und dem spanischen Auslieferungsgesuch stattgegeben wird, gibt sich die UnterstützerInnengruppe «Free Nekane» optimistisch. «Die Indizien, die belegen, dass Nekane Txapartegi im spanischen Gefängnis gefoltert und vergewaltigt wurde, sind so stark, dass die Schweiz gar nicht anders kann, als ihre Auslieferung abzulehnen und ihr hier Asyl zu gewähren», sagt Sprecher Rolf Zopfi.

Das Urteil gegen Nekane Txapartegi wegen «Unterstützung einer terroristischen Organisation» beruht auf den Geständnissen von zwei Personen, die nach eigenen Aussagen gefoltert worden sind. Neben Txapartegi selbst ist das der baskische Aktivist Mikel Egibar, der im gleichen Keller wie Txapartegi misshandelt wurde. Beide haben nach ihrer Freilassung ihre Geständnisse widerrufen.

Jean-Pierre Restellini, Rechtsmediziner und ehemaliger Präsident der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter, bestätigte unlängst gegenüber «Le Temps», dass die von Txapartegi beschriebenen Folterpraktiken und auch Vergewaltigungen während der neunziger Jahre in den Gefängnissen der Guardia Civil Usus waren und dass es kaum Zweifel am Wahrheitsgehalt von Txapartegis Aussagen gebe. Der Generalsekretär der Weltorganisation gegen Folter (OMCT), Gerald Staberock, teilt diese Ansicht; mit einer Auslieferung Txapartegis verstosse die Schweiz gegen die Menschenrechtskonvention.

Doch wenn die Schweiz die Auslieferung verweigert, missachtet sie nicht nur den Rechtshilfevertrag mit Spanien, sondern anerkennt auch, dass in Spanien gefoltert wurde. Inwiefern sich solch ein Entscheid auf die diplomatischen Beziehungen auswirken würde, ist unklar. Bereits früher wurden allerdings Foltervorwürfe gegen Spanien bestätigt. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg hat Spanien zu einer Geldstrafe verurteilt wegen Folterung baskischer Gefangener und der Nichtuntersuchung der Vorwürfe durch die Justiz. Und Belgien hat dieses Jahr erneut die Auslieferung einer baskischen Aktivistin und angeblichen Eta-Unterstützerin verweigert, weil deren Rechte in Spanien nicht gewahrt seien.

Auch über die weiteren Konsequenzen eines für Txapartegi positiven Entscheids lässt sich nur spekulieren. Denn vieles an Txapartegis Fall ist viel zu spezifisch, als dass sich daraus eine gängige Rechtspraxis entwickeln könnte. «Es ist unwahrscheinlich, dass nach einem positiven Entscheid Dutzende von geflüchteten Basken in die Schweiz kommen würden», so Rolf Zopfi vom Komitee «Free Nekane». «Die Flüchtigen würden sich durch ihr Auftauchen selbst massiv gefährden, indem sie ihr Schicksal in die Hände der Schweizer Asylbehörden legen.»

In Spanien drohen Nekane Txapartegi fast sieben Jahre Gefängnis. «Und es besteht die Gefahr von weiteren Menschenrechtsverletzungen», so Rolf Zopfi. «Im Fall eines negativen Entscheids sind wir bereit, durch die Instanzen zu gehen und nötigenfalls auch vor internationale Gremien zu gelangen.»

Noëmi Landolt

 

*Quelle: www.woz.ch/1646/nekane-txapartegi/teufelskreis-aus-angst-und-stress

Freiheit für Nekane!

Am Samstag, 24.9.16, fand in Bern die Demonstration für die Freiheit von Nekane Txapartegi statt. Dieses Flugblatt wurde dort von der Roten Hilfe Schweiz verteilt:

Mit der Verhaftung von Nekane Txapartegi wegen des Auslieferungsgesuchs Spaniens zeigt die Schweizer Justiz auf, dass alles Gerede über Neutralität und unpolitische Prozessführung in der Schweiz letztlich hohle Phrasen bleiben. Entgegen den Behauptungen der Behörden wirkte und wirkt die Schweiz immer wieder als Helferstaat bei der Verfolgung von politisch aktiven Personen tatkräftig mit.

Erinnert sei an den Fall von Metin Aydin, einem Kurden, der bei einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz 2012 von der Polizei verhaftet und danach an Deutschland ausgeliefert wurde, wo ihm ein Prozess wegen Mitgliedschaft in der PKK gemacht wurde. Metin war in Frankreich ein anerkannter Flüchtling. Seine politische Identität, die ihm im einen Staat das Recht auf Asyl garantierte, wurde im anderen Staat zu seinem Verhängnis. Und die Schweiz hatte dabei die Finger mit im Spiel.

Erinnert sei aber auch an einige Menschen aus der tamilischen Bewegung, die lange in der Schweiz lebten. Nachdem der sri-lankische Staat 2009 die dortige tamilische Bewegung brutal angriff, auf grausamste Art und Weise niederrang und den Bürgerkrieg für beendet erklärte, sah auch der Schweizer Staat keinen Grund mehr dafür, tamilische Leute nicht nach Sri Lanka auszuliefern. Dies, obwohl offenkundig war, dass der sri-lankische Staat seinen Vernichtungskrieg gegen die tamilische Bewegung auch nach «Ende» des Kriegs fortsetzte. Es kam, wie es kommen musste: Kurz nachdem die Schweiz erste Menschen ausgeliefert hatte, wurde bekannt, dass diese in den dortigen Knästen schwer gefoltert wurden. Die hiesigen Behörden entschuldigten sich kleinlaut. An ihrer Mitverantwortung dafür ändert das nichts.

Nun also Nekane, die auf eine langjährige politische Praxis in der baskischen Bewegung zurückschauen kann. Ihre politische Identität, welche die Grundlage für die Strafverfolgung gegen sie bildet, spricht aus jedem Brief, den sie schreibt. Es ist diese Identität, die der spanische Staat ihr vorwirft, und die Schweiz assistiert dabei. Es ist wichtig, diese Seite Nekane’s aufzunehmen und sich nicht nur mit der systematischen Folter in Spanien auseinanderzusetzen, sondern auch mit der Geschichte der baskischen Bewegung in ihrem Kampf für Fortschrittlichkeit und Unabhängigkeit.

Die aktuelle Kollaboration der Schweiz mit Spanien muss auch im Kontext der europaweiten Diskussion rund um Ausnahmezustände oder mehr Überwachung angesichts des Jihadismus gesehen werden. Aktuell wird eine gesellschaftliche Stimmung geschürt, die den Ausbau der repressiven Mittel der Staaten mit sich bringt. Darüber gibt es europaweite Diskussionen, an denen die jeweiligen staatlichen Ämter beteiligt sind. Nebst dem Ausbau der Repression wird auch eine verstärkte Angleichung und eine engere Zusammenarbeit zwischen den Staaten gefordert. Während sie lautstark vom Jihadismus reden, nehmen sie selbstverständlich andere ins Visier, die – wie Nekane – eine antikapitalistische Perspektive vertreten. Immer wieder gibt es Statements, in denen der hiesige Nachrichtendienst beispielsweise davon redet, dass es bei Jugendlichen nicht nur Prävention gegen den Jihadismus braucht, sondern auch gegen linke, antikapitalistische Positionen. Von daher soll und muss man die Inhaftierung von Nekane verurteilen, aber gleichzeitig den Kontext berücksichtigen, in dem dieser Fall stattfindet. Zeigen wir unsere Solidarität mit allen politischen Gefangenen und verteidigen wir ihre politische Identität! Freiheit für Nekane!

Denunzieren wir die Kollaboration des Schweizer Staats –
Stärken wir die politische Identität von Nekane!

Rote Hilfe Schweiz
rotehilfech.noblogs.org

Auslieferungsverfahren von Nekane Txapartegi

Spanien kann die Foltervorwürfe nicht entkräften.

Briefwechsel mit Spanien
Seit April ist die baskische Aktivistin Nekane Txapartegi in Auslieferungshaft, da Spanien ihre Auslieferung zwecks Vollzug einer fast 7-jährigen Gefängnisstrafe verlangt. Aufgrund der Vorwürfe, dass Nekane Txapartegi aufgrund eines Geständnisses verurteilt wurde, das unter Folter erzwungen worden war, forderte das EJPD vom spanischen Justizministerium mehrere Dokumente zur Klärung an. Es sind dies insbesondere die vollständigen Urteile der ersten und zweiten Instanz gegen die Baskin, sowie eine ausführliche Erklärung zu den Untersuchungen der Foltervorwürfe, die damals zu einer Einstellung des Verfahrens geführt hatten.
In der Antwort bestreitet Spanien die Vorwürfe vollständig. Die gesamte Argumentation bleibt jedoch oberflächlich bis fehlerhaft.
Es wird darauf verwiesen, dass die Gefangene während der Incommunicado-Haft (mit absoluter Kontaktsperre) täglich von einem Rechtsmediziner untersucht wurde, der in seinen Berichten keine Hinweise auf Misshandlungen notiert hatte. Tatsächlich sind in diesen Berichten Blutergüsse erwähnt. Auch nach dem Transfer in ein normales Gefängnis hat der dortige Arzt mehrere Hämatome festgestellt. Weiter muss festgehalten werden, Spanien schon in mehreren Fällen vom Europäischen Gericht für Menschenrechte verurteilt wurde. Dabei wurde festgestellt, dass diese medizinischen Berichte den internationalen Standards betreffend Unabhängigkeit der Mediziner nicht genügen.

Weiter verweist das spanische Justizministerium darauf, dass die Baskin sowohl bei den Aussagen bei der Guardia Civil wie auch danach vor dem Untersuchungsrichter von einem Pflichtverteidiger begleitet wurde. Obwohl dies formal korrekt ist, hat dieser keinerlei Aktivitäten zur Verteidigung seiner „Mandantin“ unternommen. Es fand kein Gespräch mit ihr statt, und während der Anhörung vor Gericht sass er hinter seiner „Mandantin“, neben den Polizeibeamten. Es gab keinerlei Intervention von seiner Seite. Nicht einmal gegen die Verlängerung der Haft unter Kontaktsperre wurde rekurriert. Diese Praxis der Pflichtverteidigung wurde von verschiedenen internationalen Instanzen schon mehrfach gerügt, unter anderem vom Europäischen Komitee
zur Verhinderung von Folter (CPT). Es kann somit nicht von einer effektiven Verteidigung gesprochen werden.
Weiter behauptet Spanien, dass Nekane Txapartegi ihre Klage wegen der Folter erst nach der Freilassung eingereicht habe. Diese Behauptung ist faktenwidrig. Die Klage wurde nachweislich noch während der Gefangenschaft von Frau Txapartegi eingereicht. Weiter unterschlägt die Antwort Spaniens, dass Nekane Txapartegi schon beim ersten Erscheinen vor dem Richter erklärte, dass sie gefoltert worden war, und auch die Hämatome an ihrem Körper zeigte.
Korrekt ist die Antwort Spaniens hingegen mit der Bemerkung, dass die Anschuldigungen der Baskin vor Gericht als ohne genaue Begründung als unglaubwürdig bezeichnet wurden.

Keine effektive Untersuchung der Foltervorwürfe
Die Akten zum Untersuchungsverfahren aufgrund der Anzeige wegen Folter sprechen eine deutliche Sprache.
Nach Eingang der Anzeige am 21. Juni 1999 wurde das Verfahren wie eine heisse Kartoffel von einer Instanz an die nächste weiter- und später wieder zurückgereicht. Nachdem das Dossier acht Mal verschoben wurde, anerkennt der Staatsanwalt in Madrid am 18. Mai 2000 seine Zuständigkeit. Bis dann wurden noch keinerlei Untersuchungen vorgenommen. Die Pflicht zur zügigen Abklärung von Vorwürfen dieser Schwere (Folter und Vergewaltigung) wurde hier eindeutig verletzt. Die angeforderten Dokumente, insbesondere die Arztberichte, die während der Incommunicado-Haft geschrieben wurden, werden dem Staatsanwalt erst im Januar 2001 geliefert.
Im Juni 2001 wird entschieden, dass nicht mehr festgestellt werden kann, wann die Hämatome entstanden sind. Das Verfahren wird eingestellt. Dieses Vorgehen ist ein klarer Verstoss gegen die Anforderungen, die sowohl das Antifolter-Komitee wie auch Strassburg an ein solches Verfahren stellt. Die Scharade geht danach weiter. Die Verfahrenseinstellung wird der Klägerin nicht mitgeteilt, angeblich weil ihre Adresse unbekannt sei. Auch ihre Anwälte werden nicht informiert.
Erst 2005 erfahren die Anwälte von der Einstellung und rekurrieren erfolgreich. Im Januar 2006 findet die erste Befragung des Opfers statt, fast 7 Jahre nach der Verhaftung. Im weiteren Verlauf weigert sich der Untersuchungsrichter, die beteiligten Beamten vorzuladen. Stattdessen als einzige Person der Gefängnisarzt einvernommen, der Nekane Txapartegi nach dem Transfer ins normale Gefängnis untersucht hat. Die beteiligten Agenten der Guardia Civil werden nie befragt, ebensowenig wie andere Zeugen. Im Jahr 2008 wird das Verfahren erneut eingestellt, ein Rekurs bleibt erfolglos.
Bei Anzeigen wegen Misshandlung, Folter und Vergewaltigung durch Beamte des Sicherheitsapparates hat der Staat die Pflicht, die Vorwürfe schnell und gründlich abzuklären. Das hier dargelegte Vorgehen verletzt ohne Zweifel die Europäische Menschenrechtskonvention.
Die Antifolter-Konvention ist in diesem Punkt klar: Es ist am Staat, der eine Auslieferung verlangt, zu beweisen, dass die Verurteilung rechtmässig, d.h. nicht unter Verwendung von erfolterten Aussagen zustande kam.
Die Antwort Spaniens kann schwere Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Verfahren gegen Nekane
Txapartegi offensichtlich nicht ausräumen.
Folgt das Bundesamt für Justiz den internationalen Verpflichtungen, muss die Auslieferung abgelehnt werden.

Communiqué: augenauf Zürich

Folter in Spanien

Am 27. Juni erschien ein Untersuchungsbericht über die Praxis der Folter im spanischen Baskenland im Zeitraum von 1960 bis 2013.  (http://www.eitb.eus/multimedia/documentos/2016/06/27/1987310/Memoria%20Proyecto%20tortura%202016.pdf)
Es wurden Daten über 4‘000 Fälle von Folter gesammelt und ausgewertet. Stichprobenweise wurden 202 Opfer nach den Richtlinien des Istanbul-Protokolls untersucht. Dieses Protokoll dient als Standard der UNO zur Untersuchung und Dokumentation von Folter, auch in Abwesenheit physisch sichtbarer Schäden.
Von den untersuchten Fällen wurden 11% als absolut zuverlässig, 46% als sehr zuverlässig, 41% als zuverlässig und nur 2% als zweifelhaft beurteilt. Es muss davon ausgegangen werden, dass ein sehr grosser Teil der untersuchten Fälle somit tatsächlich als Folter im eigentlichen Sinn betrachtet werden müssen.
Es fällt auf, dass die grosse Anzahl Fälle nach dem Tod Francos, also in die Zeit der Demokratie, fällt. Diese auf den ersten Blick irritierende Tatsache hat mehrere Gründe. Ganz allgemein muss festgehalten werden, dass mit dem Abhalten von Wahlen nicht automatisch ein funktionierender Rechtsstaat entsteht, der die Menschenrechte achtet. Die dafür notwendigen Institutionen ändern sich meist wesentlich langsamer als das politische System. Auch im Fall von Spanien lässt sich in etlichen relevanten Institutionen nach dem Übergang eher eine Kontinuität feststellen:
– Die Guardia Civil, das Repressionsinstrument des Diktators Franco, bleibt bestehen
– Der Staatsgerichtshof für schwere Straftaten und Terrorismus, die Audiencia Nacional, wurde als
Ersatz für den Tribunal del Orden Público aus der Franco-Zeit neu gegründet, das Personal blieb
jedoch zunächst grösstenteils identisch
– Die Gesetze bleiben zu einem grösseren Teil bestehen, oder werden erst langsam ersetzt. Dies ist
keine Spezialität Spaniens: Auch Deutschland hat noch Gesetze aus der Nazi-Zeit.

Es sollte deshalb nicht überraschen, dass auch die Praxis der Folter eine Kontinuität erfährt, die auch durch die fortwährende Aktivität der ETA mit Anschlägen intern legitimiert wird. Diese Tatsache wurde seit Jahren in den Berichten von Menschenrechtsorganisationen sowie Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie dem Antifolter-Komitee der UNO bestätigt.
In einer Phase dieser Auseinandersetzung waren von 1983 bis 1987 auch Todesschwadronen aktiv, die Grupos Antiterroristas de Liberación (GAL). In den Aufbau und die Finanzierung dieser Gruppen war der spanische Staat direkt verwickelt.
In letzter Zeit wurde diese Tatsache auch von einzelnen Personen des Sicherheitsapparates bestätigt: Baltasar Garzon, ehemaliger Untersuchungsrichter der Audiencia Nacional, hat 2015 selbst bestätigt, dass es bei den Verhören „Exzesse“ von Folter gegeben hat.
Laut der Baskischen Organisation gegen Folter, Torturaren Aurkako Taldea (TAT) war im Jahr 2015 das erste Mal keine Meldung wegen Folter eingegangen.

Communiqué: augenauf Zürich, August 2016

Folter im Baskenland – Nekane Txapartegi

Asteasu, 03.09.1999. Guardia Civil

Es ist, als ob sie in dir etwas gebrochen hätten. Du nimmst Abstand zu dem, was du liebst, um dir nicht zu schaden. Es ist wie eine Verteidigung für {mit} die deinen. Es ist schwer, sich aufzuregen oder es auszudrücken mit dem Nahen, aber nicht mit dem Entfernten (ein Film) oder mit dem, das keine direkte Beziehung hat. Du identifizierst dich mit, was du in anderen siehst, und dann regst du dich auf.

Als Frau, wenn sie deine Intimität gebrochen haben, entblösst, vergewaltigt … das hat bei mir spätere Reaktionen ausgelöst. Wenn sie gesehen haben, was für einen Unterschied macht es, wenn jemand anderes es sieht? Alle sexuellen Übergriffe wurden von Männern durchgeführt, angeordnet in einem Kreis, und ich in der Mitte. Deshalb vermeide ich es immer noch, wenn ich eine Gruppe von Männern sehe, vermeide ich es, durch die Mitte zu gehen. Ich mag es nicht, etwas zu sagen, wenn sie in einer Gruppe sind, weil es mich daran erinnert, was in der Polizeistation passiert ist.

Nach der Flucht ist die psychische Belastung im Exil weniger schwer, es gibt niemanden, der weiss, was passiert ist. Allerdings haben sich, durch das beiseite lassen der psychischen Belastung, die körperlichen Folgen mehr bemerkbar gemacht. Der Schmerz entsteht in den gleichen Wunden der Polizeistation.

Die Folter hat mein Leben in ein bevor und ein danach geteilt, aber hat mich als Mensch und Frau gestärkt. Ich habe viel aus dieser schmerzlichen Erfahrung gelernt, und ich hatte den Mut, mich nach vorne zu bewegen. Der Kampf gegen die Folter hat wie eine Leiter, die ich Tritt für Tritt nach oben gehen musste. Schritt für Schritt vorstossend mit jeder Klage und jeder Zeugenaussage.

Es gab einen Tritt, den hochzusteigen mir in diesem Kampf noch fehlte. Ein Dorn, den ich rausziehen konnte, seit ich in der Polizeistation war. Sie haben mich viel mit diesem Thema zerkleinert, mit wurde mir gesagt, dass ich nach der Vergewaltigung nicht in der Lage wäre Kinder zu haben, dass Sie mich nicht andere wie mich machen lassen würden… Ich wollte schon immer eine Mutter zu sein, vor und nach der Polizeistation. Aber ich wusste, dass ich zuerst die Wunden der Polizeistation heilen musste. Schritt für Schritt, Tritt für Tritt. Der Tag ist gekommen, an dem ich habe auch diesen Dorn entfernt habe, denn ich bin Mutter geworden. Als Frau war das für mich ein großer Erfolg, nicht um ihnen zu beweisen, dass ich es doch kann, sondern für mich selbst. Dass ich es geschafft habe, dass ich nach all diesen Jahren diesen Kampf gegen die Folter gewonnen habe.

Spanien: Gabriel Pombo da Silva ist frei

Der anarchistische Genosse Gabriel Pombo ist endlich außerhalb der Mauern – C.N.A., 10. Juni 2016

„Der Anarchismus betrifft das Individuum, nicht nur der Gemeinschaft sondern sich selbst gegenüber. Der Anarchismus wendet sich nicht an den „Bürger“ sondern an den Menschen.“ – Albert Libertad

Liebe Genoss_innen

Endlich, nach vielem Hin und Her vom Knast und den Gefängnisbehörden, haben sie sich verpflichtet gefühlt, ihre eigenen Gesetze zu befolgen, die sie sonst stets verletzen und ich bin hier endlich in Freiheit, richte diese ersten Worten der Dankbarkeit und Liebe an alle, die ihr mich diese letzten 30 Jahre begleitet und in meinem eigenen anarchistischen Glauben bestärkt habt und dabei die elementaren Prinzipien des Anarchismus, gegenseitige Unterstützung und Solidarität, verwirklicht habt. Das hat mich schließlich aus den Klauen der Gefängnisbestie befreit, gegen die ich auf der Straße weiter kämpfen werde, ohne die persönliche Schlacht zu vergessen, die draußen geschlagen wird, da es für mich kaum Unterschiede zwischen dem einen System und dem anderen gibt.

Ich weiß sehr genau, dass ich, noch Teil alldessen, sehr privilegiert bin, da ich auf die Unterstützung von Genoss_innen zählen konnte. Es gibt viele, die nicht von dieser Chance profitieren können. In den kommenden Tagen werden wir Kommuniques herausbringen, die schon über die spezifische Materie unserer Bewegung und möglicher Strategien eintreffen, die wir entwickeln müssen, um den ganzen Institutionalismus und buen-rollismo (??) des revolutionären Anarchismus unserer Älteren/Vorkämpfer_innen/Vorgänger_innen zu erneuern.

Ich möchte festhalten, dass ich niemals unsere libertären Genoss_innen vergessen werde, die im spanischen Staat und auf der Welt gefangen gehalten werden, besonders Mónica, Francisco, Claudio und die zuletzt in Haft genommene Genossin/die letzte in Haft genommene Genossin, die an Deutschland ausgeliefert werden wird, wobei ich viele außer Acht lassen, die ich nicht namentlich erwähne.

Es bleibt viel zu tun, das ist gewiss, aber letztlich wird es nicht bei Lust, Vorfreude und Entschlossenheit bleiben. Ich werde hier nicht auf die niederträchtigen Versuche der Gefängnisleitung, meine Entlassung zu verhindern, eingehen. Das werden wir mit offiziellen Schreiben dokumentieren, in denen sich eindeutig zeigen wird, wie grob und wirr die Justiz dieses Landes ist. Ich bin frei und so wie es aussieht beabsichtigen sie, mich in 45 Tagen von Neuem einzusperren, von Neuem ihre Hunde auf mich loszulassen. Selbstverständlich werde ich weder freiwillig in den Knast gehen, noch mit dem „Gesindel“ paktieren, mich auf irgendeine ausgehandelte Entlassung einlassen. Daher nehme ich an, dass mir nicht mehr bleibt, als aus dem Schatten zu kämpfen, diejenigen Prozesse und antiautoritäten Projekte unterstützend, die voranzutreiben ich für nötig halte, mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, bis hin zum Untergrund in den sie mich treiben.

Alle Menschen und Organisationen zu erwähnen, die mich während all dieser Jahre unterstützt haben, ist unmöglich, es sind zu viele. Ich möchte nur, dass ihr wisst, dass ihr heute, morgen und immer auf mich zählen könnt, wenn es um den Anarchismus und die soziale Revolution geht. Heute, von einem Aufenthaltsort außerhalb der Mauern, schicke ich Berge von Grüßen

Gabriel Pombo da Silva

http://ch.indymedia.org/de/2016/06/97614.shtml

SOLIDARITÄT MIT NEKANE TXAPARTEGI – FREE NEKANE!

Am Mittwoch, 6. April wurde Nekane Txapartegi in Zürich verhaftet. Die Verhaftung erfolgte aufgrund eines europäischen Haftbefehls und eines spanischen Auslieferungsantrags. Nekane Txapartegi ist eine ehemalige Stadträtin aus der baskischen Kleinstadt Asteasu. Sie war in verschiedenen linken Bewegungen aktiv und als Journalistin für verschiedene linke Zeitschriften tätig.

Nekane Txapartegi wurde 1999 von der spanischen paramilitärischen Polizei Guardia Civil verhaftet. Während der berüchtigten Incomunicado-Haft – ohne Zugang zu einem Anwalt oder sonstigen Kontakten – wurde sie massiv gefoltert und vergewaltigt. Ihre Aussagen führten zu einer Anklage gegen ihre Folterer, die sie auch identifizieren konnte. Das Verfahren wurde, wie in Spanien in solchen Fällen leider üblich, eingestellt. Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen dokumentierten diesen besonders schweren Fall von Misshandlungen, Schlägen und sexueller Gewalt. Nach ihrer Freilassung flüchtete sie 2007 aus Spanien. Bei einem politischen Massenprozess gegen linke AktivistInnen wurde sie 2009 zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Erst am Dienstag, dem 12. April, konnte ein Schweizer Anwalt Nekane besuchen und ihre Verteidigung übernehmen. Seinen Berichten zufolge geht es ihr den Umständen entsprechend gut. Sie sieht den kommenden Zeiten mutig und aktiv entgegen. In der Zwischenzeit hat sich in der Schweiz die Solidaritätsgruppe “Free Nekane!” gebildet. Die Solidaritätsgruppe ist offen für engagierte Menschen und Kollektive, die Nekane und ihre Familie unterstützen und ihren Fall bekanntmachen möchten. Bei einer Auslieferung droht Nekane Txapartegi eine Haft weit entfernt ihrer Heimat. Durch diese “Dispersion” genannte Massnahme werden baskische Gefangene hunderte oder gar über tausend Kilometer vom Baskenland entfernt gefangen gehalten. Dies soll den Austausch zwischen baskischen Gefangenen und eine Solidarisierung erschweren. Für die betroffenen Familien bedeutet dies stundenlange Anfahrtswege ür kurze Besuche ihrer Angehörigen. Das oberste Ziel ist, die Auslieferung an Spanien zu verhindern. Keine Auslieferung des Folteropfers an ihre Peiniger! Die Gruppe wird dafür mit Informationen und solidarischen Aktivitäten an die breite Öffentlichkeit gelangen. Die Kontaktadresse lautet: freenekane@immerda.ch.

http://www.augenauf.ch/aktivitaeten/157-solidaritaet-mit-nekane-txapartegi-free-nekane.html