GRÜSSE AN UND SOLIDARITÄT MIT DEN MILITANTEN REVOLUTIONÄREN GEFANGENEN

Vom 11. bis 12. November 2017 fand die Halbjahreskonferenz der RHI statt.

Im Moment sind es widrige Umstände, denn das System setzt Krieg, Repression und eine reaktionäre Massenmobilisierung um. Genau diese Härte zwingt Klassenkräfte neu zu knüpfen und neu zusammen zu setzen damit sie in den unmittelbaren Kämpfen fassbar werden und eine Perspektive aufzeigen. Diesbezüglich sieht sich die RHI in ihrer Arbeit und ihrer Rolle bestätigt. Weiter, sie erfährt jetzt eine Entwicklungsphase und einen Fortschritt.

Beim Durchführen ihrer Kampagnen, finden sich die Sektionen der RHI immer öfter in den Knotenpunkten der Klassenzusammenstösse. Die Kampagne zur Freilassung von Georges Abdallah hatte auch in diesem Jahre einen Qualitätssprung, durch die Teilnahme der palästinensische Organisation Samidoun, erlebt. Dies ermöglichte während der internationalen Aktionswoche, vom 14. Bis 21. Oktober, bis nach Palästina und New York zu mobilisieren. Es wurden mehrere Städte in Europa und dem Nahen Osten miteinbezogen. Dies, weil Georges und seine Kämpfe – in Palästina, Libanon und Europa – für den Zusammenstoss mit dem Imperialismus steht. Ein Zusammenstoss der bis in die Herzen der Banlieues der Metropolen reicht.

Ein Phänomen, dass sich innerhalb des revolutionären Prozesses um den Widerstand der fortschrittlichen türkischen und kurdischen Kräfte, reproduziert. Ein Prozess freiheitlicher und sozialistischer Natur. Zudem auch die einzige Vereinigung, die sich der Hölle, welche die imperialistischen Kräfte und lokalen reaktionären Regimes entfachtet haben, entgegenstellt. Die Erfahrung der internationalen Freiheitsbataillone ist ein grossartiger Ausdruck und stellvertretend dafür. Sie stellt sich auf eine Linie mit den internationalen Brigaden des republikanischen Spanien. Die RHI hat sich an ihrer Seite gestellt und führt mit ihnen eine konstruktive und dialektische Beziehung. Sie verschweigt weder die Widersprüche noch die Einschränkungen, die besonders vom Kräfteverhältnis stammen (Druck seitens aller Imperialisten und reaktionäre Regimes im Gebiet), sondern versucht konkret das Voranschreiten der revolutionären Kräfte zu unterstützen. In diesem Zusammenhang ist auch die Kampagne für das Blutstillende „Celox“ entstanden. Eine sehr erfolgreiche Kampagne mit Entwicklungspotenzial für die Solidarität mit einer voranschreitenden Revolution. Unter diesen Umständen ist auch das Verhältnis zu einer türkischen Organisation, die schon seit langem Teil der RHI ist, enger geworden.

Angrenzend an diesem brodelnden Kessel, bildet die griechische revolutionäre Bewegung einen weiteren gültigen Bezugspunkt. Während der tumultartigen Krise die sich über das Land entlud, konnte sie sich bestens in die wellenweise erscheinenden Massenkämpfe intergieren und radikalisierende Elemente für eine revolutionäre Perspektive einbringen. Sie konnte noch keinen grossen Qualitätssprung machen, in einem Zusammenschluss, und die Entschlossenheit zur Konfrontation mit programmatischen und adäquaten strategischen Elemente aus zu rüsten. Das Feld ist und der Boden ist sehr fruchtbar, die gefangenen GenossInnen sind Ausdruck davon. Die RHI führt auch mit ihnen eine sehr gute solidarische und dialektische politische Beziehung. Genau in diesem Moment, während wir diese Zeilen schreiben, haben Pola Rupa und Nikos Maziotis (MilitantIn von „Revolutionärer Kampf“) mit einem Hungerstreik angefangen um auf die Haftbedingungen hinzuweisen und sie im in einem politischen Dokument zu thematisieren.

In Italien fasst gerade eine Kampagne zur Unterstützung der MilitantInnen der BR-PCC fuss, die unter den Haftbedingungen des Art. 41bis gestellt sind. Bis jetzt wurde, insbesondere durch andere antagonistische Zusammenhänge, sehr viel im Allgemeinen gegen diese Haftbedingungen gemacht, da sie eine scharfe Form von Knastfolter und Zerstörungswillen gegen die Gefangenen sind. Die RHI will jetzt speziell auf die Anwendung des Artikels gegen fortgeschrittene revolutionäre Ausdrücke und kämpfende Organisationen aufmerksam machen. Es ist grundlegend deren Gefangenen zu verteidigen und ihren Wert in die organisierte Wirklichkeit zurück zu tragen und um die objektiv existierende Verbindung zwischen den Repressionsformen gegen die Massenkämpfe, die heute minuziös und systematisch angewendet wird, herzustellen. In diesem Sinne kann die RHI zu Gunsten einer Klassenfront intervenieren, die gegen Repression und für eine Klassenentwicklung der Bewegung ist.

Die Tage in Hamburg waren ein grosser Moment des Wachstums und der Erfahrung. Mit ihrer Konfrontation auf der Strasse, den Plätzen, und später im Knast gegen eine breite Repression vom Staat, der Anführer aller europäischen konterrevolutionären und imperialistischen Politiken. Auch hier eröffnet sich ein Feld für Kontakte und Nähe zwischen inhaftierten MilitantInnen aus verschiedenen Organisationsebenen. Eine Vielfalt, welche die verschiedenen Schritten wiederspiegelt, die für eine Reifung und den Aufbau einer revolutionären Kraft nötig sind, um der heutigen Situation gewachsen zu sein.

Dies bestätigt zusammenfassend, wie die Gefangenen das Innere der Klassenbewegung und der revolutionären Tendenz darstellen. Die RHI ist stolz diese Aufgabe weiterzuführen, den Kampf für dieses Band und den Beitrag der militanten Gefangenen zu unterstützen und gewährleisten.

Ihnen schicken wir eine warme Umarmung und all unsere Nähe und Solidarität!

 

DER WIDERSTAND DER REVOLUTIONÄREN GEFANGENEN STÄRKT DIE KLASSENBEWEGUNG!

DIE SOLIDARITÄT DER KLASSENBEWEGUNG STÄRKT DEREN WIDERSTAND!

ZUSAMMEN ZUR REVOLUTION!

 

Konferenz der Roten Hilfe International

Zürich November 2017

Erklärung von Fabio V. anlässlich der Sitzung am 07. November 2017 im Amtsgericht Hamburg-Altona

Frau Richterin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Frau Staatsanwältin, Herr Jugendgerichtshelfer,

Sie müssen heute über einen Mann urteilen. Sie haben ihn als „aggressiven Kriminellen“ und als „respektlos gegenüber der Menschenwürde“ bezeichnet. Mich persönlich kümmert es nicht, mit welchen Attributen Sie mich benennen. Ich bin nur ein Junge mit einem starken Willen.

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass die Herrschaften Politiker, Polizeikommissare und Staatsanwälte wahrscheinlich glauben, dass sie den Dissens auf den Straßen aufhalten können, indem sie ein paar Jugendliche festnehmen und einsperren. Wahrscheinlich glauben diese Herrschaften, dass das Gefängnis ausreicht, um die rebellischen Stimmen aufzuhalten, die sich überall erheben. Wahrscheinlich glauben diese Herrschaften, dass die Repression unseren Durst nach Freiheit aufhalten wird. Unseren Willen, eine bessere Welt zu erschaffen.

Nun gut, diese Herrschaften täuschen sich. Sie liegen falsch, das beweist auch die Geschichte.

Denn wie ich mussten bereits unzählige junge Menschen Gerichtsverfahren wie dieses hier durchleben.

Heute ist es Hamburg, gestern war es Genua und davor wiederum war es Seattle.

Sie versuchen, die Stimmen der Rebellion, die sich überall erheben, mit allen „legalen“
Mitteln und „prozessrechtlichen Maßnahmen“ einzugrenzen.

Wie dem auch sei, wie auch immer die Entscheidung des Gerichtes lauten wird, sie wird nichts an unserem Protest ändern. Denn noch viele junge Männer und Frauen, die von den gleichen Idealen angetrieben werden, werden auch weiterhin überall in Europa auf die Straßen gehen, ohne sich dabei um die Gefängnisse zu kümmern, die Sie mühevoll versuchen, mit politischen Gefangenen zu füllen.

Aber kommen wir nun zum Punkt, Frau Richterin, Frau Staatsanwältin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Herr Jugendgerichtshelfer.

Kommen wir zum Punkt.

Wie Sie sich vorstellen können, werde ich heute in Bezug auf die Sache, wegen der ich angeklagt bin, von meinem Recht zu schweigen Gebrauch machen. Aber ich möchte etwas über die Beweggründe sagen, weswegen ein junger Arbeiter aus einer abgelegenen Stadt in den östlichen Voralpen nach Hamburg gekommen ist. Er tat dies, um sein Missfallen am G20-Gipfel zum Ausdruck zu bringen.

G20. Allein der Name an sich hat etwas Perverses.

20 Menschen, Männer und Frauen, welche die reichsten Industrieländer der Welt vertreten, versammeln sich um einen Tisch. Sie sitzen alle zusammen, um über unsere Zukunft zu entscheiden. Ja, ich habe es richtig gesagt: „unsere“ Zukunft. Meine Zukunft, die Zukunft aller Menschen, die heute hier in diesem Saal sitzen, sowie die Zukunft weiterer 7 Milliarden Menschen, die auf unserer schönen Erde wohnen.

20 Menschen entscheiden über unser Leben und unseren Tod.

Selbstverständlich ist die Bevölkerung zu diesem netten Bankett nicht eingeladen. Wir sind nichts anderes als die dumme Schafsherde der Mächtigsten der Welt. Hörige Zuschauer dieses Theaters, in dem eine Handvoll Menschen die ganze Menschheit in der Hand hat.

Frau Richterin, ich habe lange darüber nachgedacht, bevor ich nach Hamburg gekommen
bin.

Ich habe an Herrn Trump gedacht und an seine Vereinigten Staaten von Amerika, die sich unter der Flagge der Demokratie und der Freiheit für die Polizisten der ganzen Welt halten. Ich habe an die vielen Konflikte gedacht, die der amerikanische Riese in jeder Ecke des Planeten anstiftet. Von Nahost bis nach Afrika. Alles mit dem Ziel, die Kontrolle über die eine oder andere Energiequelle zu erlangen. Nicht so wichtig, dass dann immer die gleichen sterben: Zivilisten, Frauen und Kinder.

Ich habe auch an Herrn Putin gedacht, den neuen Zaren Russlands, der in seinem Land systematisch die Menschenrechte verletzt und sich über jegliche Art von Opposition lustig macht.

Ich habe an die Saudis und an ihre auf Terror gründenden Regierungen gedacht, mit denen wir westliche Länder riesige Geschäfte machen.

Ich habe an Erdoğan gedacht, der seine Gegner foltert, tötet und einsperrt.

Ich habe auch an mein eigenes Land gedacht, in dem jede Regierung mit Gesetzesdekreten pausenlos die Rechte von Studenten und Arbeitnehmern beschneidet.

Kurzum, das sind sie, die Hauptdarsteller des prächtigen Banketts, das im letzten Juli in Hamburg stattgefunden hat. Die größten Kriegstreiber und Mörder, die unsere heutige Welt kennt.

Bevor ich nach Hamburg kam, habe ich auch an die Ungerechtigkeit gedacht, die unseren Planet zerstört. Es scheint mir schon fast banal zu wiederholen, dass 1% der reichsten Bevölkerung der Welt genau so viel Reichtum besitzt wie 99% der ärmsten Bevölkerung zusammen. Es scheint mir schon fast banal zu wiederholen, dass die 85 reichsten Menschen auf der Welt genau so viel Reichtum besitzen wie 50% der ärmsten Bevölkerung der Welt zusammen. 85 Menschen gegenüber 3,5 Milliarden. Nur ein paar Zahlen, die ausreichen, um eine Vorstellung zu bekommen.

Und dann, Frau Richterin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Frau Staatsanwältin, Herr Jugendgerichtshelfer, bevor ich nach Hamburg kam, habe ich an meine Stadt gedacht: an Feltre. Das ist der Ort, an dem ich geboren wurde, an dem ich aufgewachsen bin, an dem ich leben möchte. Es ist ein kleines mittelalterliches Städtchen, das wie ein Juwel in die östlichen Voralpen eingelassen liegt. Ich habe an die Berge gedacht, die sich bei Sonnenuntergang rosa färben. An die wunderschönen Landschaften, die ich das Glück habe aus dem Fenster meines Zuhauses sehen zu können. An die umwerfende Schönheit dieses Ortes.

Und dann habe ich an die Flüsse in meinem schönen Tal gedacht, die von den vielen Unternehmern geschändet werden, die Genehmigungen haben wollen, um dort Elektro-Wasserwerke zu bauen, unbeachtet der Schäden, die sie der Umwelt und der Bevölkerung zufügen. Ich habe an die Berge gedacht, die vom Massentourismus befallen werden und zu einem grausigen Militärübungsplatz geworden sind.

Ich habe an den wunderschönen Ort gedacht, an dem ich lebe und der an skrupellose Geschäftemacher verscherbelt wird. Genauso wie viele andere Täler in jeder Ecke des
Planeten, in denen die Schönheit im Namen des Fortschritts zerstört wird.

Angetrieben von all diesen Gedanken hatte ich mich also entschieden, nach Hamburg zu kommen und zu demonstrieren. Hierher zu kommen, war für mich mehr eine Pflicht als ein Recht.

Ich habe es für richtig gehalten, mich gegen diese gewissenlose Politik zu erheben, die unsere Welt in den Abgrund treibt.

Ich habe es für richtig gehalten zu kämpfen, damit zumindest etwas auf dieser Welt ein
bisschen menschlicher, würdevoller, gerechter wird.

Ich habe es für richtig gehalten auf die Straße zu gehen, um daran zu erinnern, dass die Bevölkerung eben keine Schafsherde ist und dass sie in Entscheidungsprozesse involviert werden muss.

Die Entscheidung, nach Hamburg zu kommen, war eine parteiische Entscheidung. Es war die Entscheidung, mich auf die Seite von denen zu stellen, die um ihre Rechte kämpfen. Und gegen die, die sie ihnen wegnehmen wollen. Es war die Entscheidung, mich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen. Und gegen die Unterdrücker. Es war die Entscheidung, gegen die kleineren und größeren Mächtigen zu kämpfen, die unsere Welt behandeln, als wäre sie ihr Spielzeug. Und denen es dabei egal ist, dass immer die Bevölkerung ihren Kopf dafür hinhalten muss.

Ich habe meine Entscheidung getroffen und habe keine Angst davor, wenn es einen Preis geben wird, den ich ungerechterweise dafür zahlen muss.

Nichtsdestotrotz gibt es noch etwas, das ich Ihnen sagen möchte, ob Sie mir es glauben oder nicht: Gewalt mag ich nicht. Aber ich habe Ideale und ich habe mich entschieden, für sie zu kämpfen.

Ich bin noch nicht fertig.

In einer historischen Zeit, in der überall auf der Welt neue Grenzen entstehen, neue Zäune mit Stacheldraht aufgebaut und von den Alpen bis zum Mittelmeer neue Mauern errichtet werden, finde ich es wundervoll, dass Tausende junger Menschen aus jedem Teil Europas bereit sind, gemeinsam in einer einzigen Stadt für ihre Zukunft auf die Straße zu gehen. Über jede Grenze hinaus. Mit dem einzigen Ziel, die Welt etwas besser zu machen als wir sie vorgefunden haben.

Denn, Frau Richterin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Frau Staatsanwältin, Herr Jugendgerichtshelfer, wir sind nicht die Schafsherde von zwanzig mächtigen Herrschaften. Wir sind Frauen und Männer, die das Recht haben wollen, über ihr eigenes Leben selbst zu entscheiden.

Dafür kämpfen wir. Und dafür werden wir weiterkämpfen.

https://unitedwestand.blackblogs.org/erklaerung-von-fabio-v-anlaesslich-der-sitzung-am-07-november-2017-im-amtsgericht-hamburg-altona/

Marco Camenisch: Freilassung in den Hofgang des Kapitalismus

Im März 2017 wurde Marco Camenisch nach über 25 Jahren aus dem Knast entlassen. Wir haben uns mit ihm über Etappen seines intensiven politischen Lebens unterhalten.

Du bist in Graubünden aufgewachsen, in einem kleinbäuerlichen und kleinbürgerlichen Umfeld. Wie hast du dich in diesem Milieu politisiert?

Ich bin in der Nachkriegszeit aufgewachsen, als der Holocaust und Auschwitz sehr präsent waren. Meine Mutter war diejenige, die in der Familie Bildung betrieben und mir die Bücher nahegebracht hat. Sie hat sehr darauf geachtet, dass keine antisemitischen Sprüche und Stammtischfloskeln geäussert wurden. Ich las bereits bevor ich zur Schule ging die Geschichten von den Partisanen und den Partisaninnen aus Italien. Der kleine feine Unterschied zwischen den Partisanen und den militärischen Verbänden der Alliierten fiel mir auf. Das selbstbestimmte Auftreten der PartisanInnen hat sehr viel mehr nach Freiheit ausgesehen, als der Stechschritt der Deutschen, Briten, Amerikaner oder Russen.

Ich war immer aufmerksam für die Dinge, die vor den eigenen Füssen passieren. In der Mittelschule in Schiers waren die Bezugspunkte die jüngeren Leute, die mit dem Schützenverein oder der Freikirche nichts am Hut hatten. Ich war damals im Internat und der Linkstrend der 68iger Zeit und der Vietnamkrieg waren prägend. Später dann für eine kurze Zeit die Publikationen der Erklärung von Bern zu den Multis und der Situation in Südafrika. Brennpunkte waren zudem die Kämpfe in El Salvador und Nicaragua, ähnlich wie heute Rojava, und die Anti-AKW-Bewegung. Eine Praxis, die über den Reformismus hinausging, gab es hier allerdings noch nicht.

Von der Beschäftigung mit den Schriften der Erklärung von Bern bis zu Aufnahme des bewaffneten Kampfes ist es ein weiter Weg.

Es war eine kurze Episode. Der klassenkämpferische Aspekt fehlte mir. Es gibt in diesen Zusammenhängen anständige Leute, aber irgendwann fangen sie an, sich mit dem Gift des Pazifismus zu belügen. Ich habe ein paar Flugis verteilt. Demonstrationen waren für mich wichtig und unersetzlich, aber für meine Bedürfnisse eher wirkungslos und reformistisches Terrain. Ich fieberte mit den Demos mit, ging aber nicht dorthin, weil ich meine Prioritäten anders setzte und weit weg auf dem Land von der Land- und Alpwirtschaft lebte. Der Gesamtwiderstand und die Solidarität mit den verschiedenen Methoden des Widerstands sind wichtig. Du musst erkennen, dass im Kampf gegen ein System, das zu allen Schandtaten und zum Genozid bereit ist, das Wichtigste fehlt, wenn es keine bewaffnete Organisierung gibt.

Wie wichtig war für dich damals die Erfahrung der RAF, der Brigate Rosse oder der Bewegung 2. Juni?

Diese Projekte waren wichtig und gehörten zur Perspektive dieser Zeit. Es war egal, ob das ehrliche kommunistische RevolutionärInnen oder AnarchistInnen waren. Man fühlte sich ihnen viel näher als anderen Kräften. Die Reaktionen im Hinterland und noch mehr in den Metropolen waren getragen von einem Ausdruck der Wut. Viele Leute waren etwas naiv und dachten, irgendwann kommt der grosse Chlapf. Dieser kommt nicht von allein. Die Wahrheit ist revolutionär. Die Gesellschaft ist im Krieg, und der bewaffnete Kampf ist ein bewusstes Mittel, um die gesellschaftliche Lähmung und die Angst zu durchbrechen. Das heisst nicht, dass man hirnrissige Sachen machen soll. Wie schon Clausewitz erkannte, ist der bewaffnete Kampf für das Kräfteverhältnis in bestimmten Phasen sehr wichtig, auch wenn es dabei zu einem gewissen Spezialistentum kommt. Wir wollten einen Kampf, den die Leute verstehen und der sie mobilisiert.

Wie war die Reaktion der Bewegung als du damals nach dem Anschlag auf die Strommasten verhaftet wurdest?

Die Reaktion war zunächst vorsichtig. Man hatte sich gefragt, was das für Leute seien. Damals gab es zum Beispiel im Südtirol eine Unabhängigkeitsbewegung, die sich von Italien lösen wollte, faschistoide Züge trug und die auch auf Strommasten losgegangen war. Die Bewegung von Chur, Zürich und Basel nahm jedoch schnell Notiz. Als die Solidaritätsbewegung reagierte, begann ich die Prinzipien der Bewegung zu übernehmen und stoppte jegliche Aussagen zu den Aktionen. Ja, und dann begann das Politgeschäft.

Nach dem Ausbruch aus dem Knast in Regensdorf hast du 10 Jahre in der Illegalität gelebt. Du hast erzählt, dass du in dieser Zeit die grösste Freiheit erlebt hast. Illegalität und Freiheit, ist das nicht ein Widerspruch?

Wenn du dich im Kampf gegen diese Gesellschaft, gegen die Sklaverei und die Unterwerfung, befindest, ist der bewaffnete Kampf der höchste Ausdruck dieses Kampfes. Das ist von der Motivation her die höchste Freiheit, ohne die Einschränkungen eines Militarismus der Herrschenden. Du musst die Leute einschätzen können, bist aber frei in den Entscheidungen der Wahl der KomplizInnen.

Geht es um die Freiheit, ausserhalb des Staates zu leben, sich dessen Zugriff zu entziehen und ungebunden gegen den Staat zu kämpfen?

Ja, du bist vogelfrei, was der Gegensatz von «abgerichtet» bedeutet. Du musst Einschränkungen in Kauf nehmen und aufmerksam sein. Wenn in einer Stadt ab 20 Uhr ein Ausgehverbot herrscht und du bei dessen Missachtung erschossen wirst, gehst du nicht hinaus. Das ist eine Einschränkung. Aber niemand diktiert dir, was und wie du etwas tust. Du suchst dir selber das Rückzugsgebiet. Wenn man «Freiheit» allerdings mit Abhängigkeiten verwechselt, die systemisch gegeben sind, dann könnte man von Einschränkungen sprechen. Du hat keinen Pass und kannst nicht einfach zum Passbüro gehen, sondern musst dir einen anderweitig beschaffen. Doch solange du den Staat angreifst, ist er der Gesuchte, nicht du. Du kämpfst gegen ihn, weil du keine Angst mehr vor ihm hast. Das hängt vor allem mit dem Bewusstseinsprozess zusammen. Je selbstverständlicher dir der Kampf mit all seinen Konsequenzen ist, um so freier bist du.

Du bist in Italien verhaftet worden und warst bis 2003 in Italien im Knast, bevor du in die Schweiz ausgeliefert worden bist. Wie hast du den Knast erlebt?

In Italien war der Knast fast ein Paradies im Vergleich zu den Verhältnissen in der Schweiz, vor allem was das Kollektiv angeht. Innerhalb der Mauern konnte man sich weitgehendst selber organisieren. Ich konnte aussergewöhnliche Leute der Brigate Rosse kennenlernen. Einige waren Kader gewesen, aber sie haben das nicht ausgespielt. Wir haben gemeinsam studiert und diskutiert, obwohl die Leute der verschiedenen Organisationen vielfach unterschiedlich waren. Das war schon fast harmonisch. Es hat Spaltungen gegeben, aber ich habe nie grössere Feindschaften erlebt. Wenn du eine solche Einschränkung solidarisch und aufmerksam im Kollektiv bewältigen kannst, hat es selbst in einem kleinen Hof Platz für alle. Das Erleben dieses Kollektivs war eine der schönsten Erfahrungen dieser Zeit. Du lernst dich selber zu behaupten, aber zuerst kam das Miteinander. In der Schweiz war das anders. In der Schweiz sind die Knäste sehr durchmischt und du musst auch mit sehr inkompatiblen Leuten, mit wenig Sinn für Kollektivität und Solidarität, zu Rande kommen.

Du hast in der Schweiz mit Leuten wie Hugo Portmann gesessen, die nicht politisch sind, aber doch ein gewisses Bewusstsein und eine Ethik haben. Gab es da Anknüpfungspunkte?

Die Zeiten mit Leuten wie Hugo waren in den Schweizer Knästen die positivsten Erfahrungen. Er verkörpert die alte Schule, die noch von den früheren Revolten schwärmt und sich im Knast solidarisch verhält. In Leuten wie ihm konntest du dich finden, was das Verhalten anbelangt: Rücksichtnahme, gegenseitige Unterstützung, den Schwächeren wenn nötig aus Schwierigkeiten helfen, und denjenigen, die meinen, sie müssten andere unterdrücken, deutlich machen, dass das so nicht geht. Das Zusammengehen mit anderen Gefangenen der alten Schule war aber oftmals beschränkt auf diese Dinge, ansonsten musste man sich gut erklären und festhalten, dass zum Beispiel Sexismus und Rassismus nicht drin liegt, weil man ansonsten nicht mehr zusammensitzen könnte. Und das funktionierte, weil: Wenn man sich im Knast streiten muss, zieht jeder den Kürzeren.

Wie hast du die Verbindung zwischen drinnen und draussen wahrgenommen?

Du überlebst im Knast nur, wenn du mit dem Kopf draussen bleibst. Der Knast ist ein lebensfeindlicher Ort. Die Praxis fehlt, das ist klar. Das gilt für die schweizerischen wie für die italienischen Verhältnisse, auch wenn das Kollektiv gegen innen eine positive Wirkung hat. Wenn Du dich abschotten lässt, deine Interessen und dein Denken nicht mehr solidarisch nach draussen kommunizierst, überlebst du nicht. Drinnen und draussen sind zwei Orte, die voneinander getrennt, aber durch die revolutionäre Solidarität eng miteinander verbunden sind.

Seit einigen Monaten bist du nicht mehr im Knast. Wie überlebt man draussen?

Während der Knastzeit verlor ich meine Gelassenheit nie. Jetzt, draussen, suche ich sie noch. Das ist ein extremer Rückschritt. Es war eine Freilassung in den Hofgang des Kapitalismus. Natürlich hast du im bewaffneten Kampf Stress, aber die Voraussetzungen im sozialen Umfeld und in den Beziehungen sind viel gesünder. So vielen Leuten geht es heute schlecht. Das zu sehen, macht mir zu schaffen. Wenn du im bewaffneten Kampf bist, dann orientierst du dich am echten Widerspruch der Gesellschaft und die reale Problemlösung steht im Vordergrund. Der Alltag hingegen ist Stress pur, weil das Unterordnungsverhältnis, das sich immer wieder reproduziert, dass du immer wieder reproduzieren musst, krank macht. Du bist nur vermeintlich frei in deinen Entscheidungen.

Aus: aufbau 90

https://aufbau.org/index.php/online-zeitung/2412-freilassung-in-den-hofgang-des-kapitalismus

Deutschland: FREIHEIT FÜR MIKEL UND IÑIGO! FRIEDEN UND FREIHEIT FÜR DAS BASKENLAND!

Am vergangenen Freitag, den 27. Oktober wurden in Berlin die zwei jungen Basken Iñigo Gulina und Mikel Barrios von Einsatzkräften der deutschen Polizei verhaftet. Dies geschah in Zusammenarbeit mit der spanischen Guardia Civil, einer militärischen Sondereinheit, die für etliche Fälle von Folter und Staatsterrorismus verantwortlich ist. Die Basken waren vom spanischen bzw. französischen Staat mittels Euro-Haftbefehl zur Fahndung ausgeschrieben. Sie befinden sich in der Berliner Haftanstalt Moabit. Es erwartet sie ein Auslieferungsverfahren vor dem OLG Berlin.

In Spanien soll sich Iñigo Gulina Tirapu vor dem Gericht wegen Aktionen der Sabotage aus dem Jahre 2007 verantwor- ten. Er wurde damals festgenommen und fünf Tage lang in Isolationshaft gesteckt und verhört. Während dieser fünf Tage wurde er brutal misshandelt und gestand unter Folter die Taten, die ihm vorgeworfen wurden. Bis zur weiteren Verhandlung wurde er auf freien Fuß gesetzt und entschied, aus Spanien zu fliehen, um weiterer Folter und einer langen Haftstrafe zu entgehen. Politisch war er damals in der baskischen Jugendorganisation SEGI aktiv, die am 19. Januar 2007 verboten und als Terrororganisation eingestuft worden war. Iñigo steht beispielhaft für viele baskische Jugendliche, die grausame Repression des spanischen Staates erfahren mussten.

Mikel Barrios wurde im November 2008 ebenfalls vorgeworfen, Mitglied der inzwischen verbotenen Jugendorganisation SEGI zu sein. Einer Verhaftung konnte er entgehen, weil er bei einer Razzia der spanischen Nationalpolizei gegen mehrere Jugendliche von SEGI entkam. Auch jene Jugendlichen, die bei dieser Razzia damals verhaftet wurden, beklagten später, gefoltert worden zu sein. Einige Monate danach wurde Mikel im französischen Teil des Baskenlandes verhaftet, aber wegen mangelhafter Begründungen im Euro-Haftbefehl der spanischen Nationalaudienz vom Tribunal in Pau direkt wieder auf freien Fuß gesetzt.

Jetzt beschuldigt Frankreich Mikel Barrios, Mitglied der Organisation ETA (Baskenland und Freiheit) zu sein und im Zeitraum 2011 / 2012 Straftaten auf französischem Boden begangen zu haben. Dies betrifft den Zeitraum nach der Konferenz von Aiete, bei der unter Beteiligung internationaler Konfliktmanager, wie z.B. Kofi Annan, der Grundstein für den Abrüstungsprozess der ETA und die spätere Abgabe ihrer Waffen verhandelt wurde. Im April 2017 gab die ETA vor internationalen Vertretern und Mitgliedern der baskischen Zivilgesellschaft ihre Waffen komplett ab bzw. gab die Verstecke ihrer Waffenarsenale bekannt. Seit diesem Moment ist ETA keine bewaffnete Organisation mehr.

Die Berliner Polizeiaktion findet ausgerechnet zu einem Zeitpunkt statt, an dem innerhalb der Organisation über eine komplette Demobilisierung derselben nachgedacht wird. Die spanische Monarchie ist dabei, alles, was dem Baskenland einem definitiven Frieden näher bringt, zu behindern. Eine geordnete Demobilisierung soll genauso verhindert werden wie zuvor der Prozess der Waffenabgabe oder der Dialog zur Lösung des baskisch-spanischen-französischen Konflikts oder die Frage der baskischen politischen Gefangenen oder Exilanten. Die in den letzten Jahren von der baskischen Bevölkerung und von Vertretern der Institutionen und internationalen Persönlichkeiten geleistete Arbeit hat ein neues Szenario des Friedens und des Zusammenlebens im Baskenland geschaffen. Nun aber, da es darum geht, die Gefangenen aus den Gefängnissen heimzuholen, fällt Madrid nichts anderes ein, als die Gefängnisse weiter zu füllen. Wie es scheint verfolgt Paris hier eine etwas andere Strategie bezüglich des baskischen Konflikts und es gibt Bewegung in der Frage der politischen Gefangenen. Der Euro-Haftbefehl gegen Mikel Barrios zeigt aber, dass auch die französische Repression noch aktiv ist. Anstatt baskische Aktivisten und Exilanten europaweit zu verfolgen, wäre es notwendig, alle Schritte in Richtung eines dauerhaften Friedens im Baskenland zu unterstützen. Dazu rufen wir auch deutsche Instanzen und Öffentlichkeit auf! Mikel Barrios, Iñigo Gulina, sowie alle politischen Gefangenen und im Exil lebenden Basken, müssen frei in ihre Heimat zurückkehren können, um als Aktivisten für ein friedliches und freies Baskenland arbeiten zu können. Wir rufen alle Personen und Kollektive, die hier in der Bundesrepublik Deutschland für Frieden und Demokratie eintreten, dazu auf die Protestaktionen, die in Kürze hier in Berlin gegen die Inhaftierung von Mikel Barrios und Iñigo Gulina stattfinden werden, zu unterstützen und eine sofortige Freilassung der Beiden zu fordern.

Bakea eta Askatasuna Euskal Herriarentzat! Frieden und Freiheit für

das Baskenland! Freiheit für Mikel und Iñigo!

LAGUNAK – Berlin 30.10.2017

Deutschland: Gülaferit Ünsal hat gewonnen

Am 3. November beendete Gülaferit Ünsal ihren Hungerstreik, da Ihre Forderung, die Verlegung einer Gefangenen, die Gülaferit aus rassistischen Motiven angegriffen hat, erfüllt wurde.

Seit dem 1. November 2017 war Gülaferit Ünsal im unbefristetetem Hungerstreik. Ihre Forderung war, dass die rassistische Gefangene, die Gülaferit angegriffen hat, aus Ihrer Station verlegt wird.

Die rassistische Gefangene hat selbst auch einen solchen Antrag gestellt. Hier an diesem Beispiel wird ganz klar das das Knastsystem die Gefangenen gegeneinander ausspielt.

http://soligruppeguelaferituensal.blogsport.de/

Solidarity with R. and all Prisoners

In der Nähe von Gronau wurde ein Uranzug blockiert. Die Aktivist_innen
grüßten dabei auch einen der G20-Gefangenen, dessen Prozess an diesem
Tag war.

Wir haben eine Ankettaktion gegen einen Urantransport durchgeführt, am
gleichen Tag als der Prozess von einem der G20-Gefangenen war. Deshalb
haben wir ein Soli-Banner mitgenommen zur Aktion, bei der wir den
Atomtransport für 17 Stunden aufhalten konnten. Für uns geht es dabei
auch darum, unterschiedliche Aktionen gegen Staat und Kapital zusammen
zu denken, ähnlich wie beim G20-Gipfel in Hamburg.

Weitere Infos zur Gleisblockade findet ihr hier.
https://unitedwestand.blackblogs.org/solidarity-with-riccardo-and-all-prisoners/

Paris: Verhaftung von Georges, Mitglied der arabischen Roten Hilfe

Georges, Mitglied des CGT sowie der arabischen Roten Hilfe und in der Gastronomie angestellt, ist seit dem 10. Oktober inhaftiert. Er wurde bei einer Demonstration zum Tag des nationalen Generalstreiks durch die Polizei verletzt und verhaftet. Am 12. Oktober findet um 18 Uhr vor dem Polizeiposten des 5ten Quartiers (Rue de la Montagne 4) eine Solidaritätskundgebung statt, wo er inhaftiert ist.

Hamburg: Ausführlicher Bericht vom 15. G20-Prozess am Donnerstag, den 5.10.2017

Der 15. G20-Prozess endete nach einer zweistündigen Hauptverhandlung mit einem Urteil von 1 Jahr und 9 Monaten auf 3 Jahre Bewährung. Zudem musste der Verurteilte eine DNA-Abnahme über sich ergehen lassen, was das Gericht in Hamburg bei den ganzen letzten Verfahren gefordert hatte.

Wider Erwarten wurde der Prozess recht schlank gehalten, d.h. keine ausführliche Beweisaufnahme mit Zeugenbefragung durchgeführt. Laut Anklageschrift soll der Angeklagte am Abend des 7.7. an der Roten Flora, einen Stein und eine Flasche Richtung Bereitschaftspolizei geworfen zu haben. Der Stein sei beim Aufprall zersplittert und Stücke hätten den Beamten Henneberg am Mittelfußknochen getroffen. Dieser will danach für 30 Minuten Schmerzen beim Laufen verspürt haben. Angeblich soll der Angeklagte auch noch einen anderen Beamten mit einer Flasche getroffen haben, der jedoch nicht auffindbar war. Die von der Staatsanwältin vorgetragene Anklage lautete dann Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen. Natürlich durfte auch der in den Prozessen obligatorische neue §114 in der Aufzählung der Anklagepunkte nicht fehlen.

Noch vor Beginn der eigentlichen Verhandlung schlug das Gericht einen Deal vor. Falls der Angeklagte im Sinne der Anklage gestehe, würde der Strafrahmen zwischen 1 Jahr und 7 Monaten und 1 Jahr und 10 Monaten liegen. Die Verhandlung wurde daraufhin zwecks Besprechung des Gerichts für 15 Minuten unterbrochen. Danach wurde kurz wieder Platz genommen, ehe abermals die Verhandlung wegen Besprechung von Gericht und Verteidigung zu den Details, unterbrochen wurde. Währenddessen war es für die solidarischen Anwesenden möglich, sich quer durch den Raum mit dem Angeklagten zu unterhalten und es wurde recht lebhaft im Saal. Die anwesenden Justizbeamt*innen sahen diesem eher teilnahmslos zu.

Auf den Deal wurde eingegangen, danach beschränkte sich die Beweisaufnahme auf das Nötigste um die gerichtliche Inszenierung G20-Prozess aufrecht zu erhalten.

Die Verteidigung verlas nach der Pause eine kurze Stellungnahme, worin der Beschuldigte einräumte, die Person auf den Bildern gewesen zu sein und sich im Flora-Park umgezogen zu haben. Danach wurde eine Zeugenaussage des verletzten Beamten verlesen. Damit war die Beweisaufnahme für den Richter geschlossen. Es folgten Angaben zu den persönlichen Verhältnissen. Zudem ist der Angeklagte in Italien und Deutschland ohne Vorstrafen.

Die Staatsanwaltschaft forderte 1 Jahr und 10 Monate, aber schloss die Möglichkeit dies zur Bewährung auszusetzen nicht aus. In ihrem Plädoyer sah sie als strafmildernd das umfassende Geständnis, die gute Sozialprognose, die 3-monatige U-Haft und seine Haftempfindlichkeit als jemand der nicht Deutsch spricht. Strafschärfend sei die Tatsache, dass es ein Stein gewesen sei, dass es keine Gelegenheitstat gewesen sei, sondern geplant wurde. Das sei unter anderem daran abzulesen, dass er bei der Tat Handschuhe trug und danach seine Kleidung im Park wechselte. Die Staatsanwältin mutmaßte, dass er sich „möglicherweise gezielt zum G20 nach Deutschland begab, um Beamten zu verletzen.“ Zusätzlich habe er mit seinem Verhalten das hiesige Demonstrationsrecht verletzt. Denn Steine werfen sei kaum als politische Botschaft anzusehen, sondern spräche für „pure Gewaltbereitschaft.“ Das Plädoyer kam diesmal ohne den Hinweis auf den Umstand der Generalprävention aus.

Die Verteidigung forderte das Mindeststrafmaß entsprechend der Verständigung von 1 Jahr und 7 Monaten auf Bewährung. Sie wies darauf hin, dass ihr Mandant vor Gericht auf wesentliche Verteidigungsrechte verzichtet habe. Zudem bestätigte sie die Haftempfindlichkeit durch dessen fehlende Sprachkenntnisse. In dem Fall, dass die Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werde, stelle sie den Antrag der Vorladung von Elke Steven vom Komitee für Grundrechte aus Köln als Zeugin. Diese sollte die Übergriffe, das generell versammlungsfeindliche Handeln der Polizei und deren Eskalationsstrategie während des Gipfels bezeugen. Besonders an den Tagen des Aufbaus vom Camp Entenwerder und dem der Welcome-to-Hell- Demonstration, die beide genehmigt waren. Die Grundrechte wurden hier nicht geschützt, sondern blockiert. Das Mitverursachen der staatlichen Organe für die eskalative Situation, werde hierbei als strafmildernd und der besondere Umstand G20 als singuläres Ereignis gesehen.

In der Urteilsbegründung hob der Richter die Haftempfindlichkeit des Angeklagten hervor, die 3 Monate , die er „erlitten“ habe. Er sah aber auch drei unterschiedliche Strafumstände durch das planhafte Vorgehen durch Vermummung und späteren Kleidertausch erfüllt. Er sei nicht wie vergleichbare Fälle mitgerissen worden und habe daher nicht affektiv oder spontan gehandelt. Dadurch dass es sich nicht nur um eine Flasche, sondern sogar einen Stein handelte, sei die Tat schwerer zu werten. Denn trotz Ausrüstung hätte es zu schwerwiegenden Verletzungen kommen können. Er hängte noch eine väterliche Ermahnung dran, dass es „auch für Sie selbst“ mit schweren Verletzungen hätte enden können.

Auffällig und dreist war in der Urteilsbegründung, dass die Entschuldigungen der anderen Gefangenen aus den anderen Verfahren als Maßstab galten. Diese hatten bis von 1 Jahr bis zu 1 Jahr und 6 Monate auf Bewährung bekommen. Weil der Angeklagte sich nicht entschuldigte, wurden hier gleich noch mal ein paar Monate mehr in das Urteil eingefügt. Mit der Begründung, dass eine Entschuldigung bei vorherigen Urteilen sich strafmildernder ausgewirkt hatte. Zuletzt wurde eine DNA-Abnahme angeordnet, was der gesamte Saal mit einem Buhen quittierte.

https://unitedwestand.blackblogs.org/ausfuehrlicher-bericht-vom-15-g20-prozess-am-donnerstag-den-5-10/#more-1024

Hausdurchsuchungen am 5. Oktober 2017

Heute morgen gab es an mehreren Orten Hausdurchsuchungen. Uns sind Orte in Basel, Zürich und Winterthur bekannt. Zu den genauen Hintergründen können wir noch nichts sagen. Möglich ist, dass es noch weitere Durchsuchungen geben wird. Wir werden euch auf dem Laufenden halten. Falls bei euch auch Durchsuchungen durchgeführt wurden oder ihr von solchen wisst, meldet euch auch bei AntirepBasel unter antirep-basel(at)riseup.net, pgp-Schlüssel ist auf der Webseite.

https://barrikade.info/BREAKING-NEWS-Hausdurchsuchungen-am-5-Oktober-2017-449