Es gehört zu den Grundstützen der bürgerlichen Ideologie, dass das Recht über den gesellschaftlichen Verhältnissen schwebe und dadurch neutral und unparteiisch sei. An diesem Bild ist wenig Wahres. Das zeigt sich immer dann deutlich, wenn neue Gesetze formuliert werden, die unmittelbar auf gesellschaftliche Kräfteverhältnisse einwirken – meistens zum Vorteil der Herrschenden. Der Landfriedensbruch etwa, politisches Delikt schlechthin, wurde zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eingeführt, um die erstarkende ArbeiterInnenbewegung auf der Strasse zu bremsen. Während die Bourgeoisie ihre politischen Interessen im Parlament bestens vertreten sah, wurde die Strasse als Austragungsort der Forderungen jener, die keinen Zugang zu den oberen Gefilden hatten, kriminalisiert.
Wir sehen auch, dass das herrschende Recht das Recht der Herrschenden ist, wenn die Justiz über sich hinauswächst, um Bedrohungen ihrer Ordnung in die Schranken zu weisen. Die staatliche Aufarbeitung der G20-Proteste von 2017 in Hamburg ist dafür exemplarisch. Die Stärke der Anti-G20-Bewegung, die mittels Demonstrationen, Blockaden und Strassenkämpfen einen antagonistischen Gegenpunkt zum Gipfel setzte, verursacht eine Reaktion, die weit über den üblichen Rahmen hinausgeht. Die politische Intention hinter den juristischen Angriffen ist nach enormen Ermittlungen und zahlreichen Prozessen für alle sichtbar, es ist ein Rachefeldzug des deutschen Staates.
Das Bewusstsein für das Woher und Wozu der Repression ist Voraussetzung für den notwendigen politischen Umgang mit den Angriffen gegen unsere Bewegung. Wir müssen um die dahinterliegenden Verhältnisse wissen, um eine klare und konsistente Haltung zur Repression zu entwickeln, die nicht auf falsche Hoffnungen in einen oder faule Kompromisse mit einem „gerechten Rechtsstaat“ setzt. In allererster Linie ist das Recht des bürgerlichen Staates Ausdruck und Instrument der herrschenden Klasse, eine ihrer Waffen im Klassenkampf von oben, um jene zu brechen, die widerstehen. Wir dürfen von ihnen keine Sympathie erwarten, wenn wir danach trachten, das System zu stürzen, das heute ihren Reichtum mittels Ausbeutung und Unterdrückung sichert.
Eine konsequente Politik des Bruchs mit den herrschenden Verhältnissen muss antizipieren, dass die Gegenseite – der bürgerliche Staat – reagieren wird. Alles andere wäre angesichts der Geschichte linker Bewegungen weltweit naiv. Als Bewegung muss es uns gelingen, in der Dialektik zwischen Revolution und Konterrevolution zugleich die Schläge der Repression abzuwehren wie auch eigene zu platzieren, zugleich den revolutionären Prozess zu schützen wie auch ihn voranzutreiben. Darin ist die Solidarität Dreh- und Angelpunkt, der Zusammenhalt und die Komplizität all jener, die auf dieser Seite der Barrikaden stehen und die herrschenden Verhältnisse bekämpfen. Machen wir uns nichts vor: Unsere Solidarität richtet sich letztlich auf dieses Ziel, im Bewusstsein dafür, dass erst der Umsturz dieser Verhältnisse den Weg für ein freies Leben für alle öffnet.
Den Spiess umdrehen – dem Kapitalismus den Prozess machen!
Flugblatt anlässlich der Basel-Nazifrei-Demonstration am 28.11.2020 in Basel