Am Mittwoch, 1. Dezember 2021 wird das Landgericht Berlin im RAZ-/RL-Prozess gegen Cem das Urteil verkünden. Damit findet ein jahrelanges staatliches Repressionsspektakel seinen Abschluss, bei dem die anfangs vollmundigen Vorwürfe immer weiter zurückgeschraubt werden mussten. Trotzdem forderte die Staatsanwaltschaft am 17. November eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und elf Monaten.
Von den laufenden Ermittlungen erfuhren die Betroffenen, als es am 22. Mai 2013 in Berlin, Magdeburg und Stuttgart zeitgleich 21 Hausdurchsuchungen in Privatwohnungen, an Arbeitsplätzen und in linken Vereinsräumen gab. Neun Beschuldigten wurde damals die Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung“ nach § 129 StGB vorgeworfen, indem sie angeblich gemeinsam die Revolutionären Aktionszellen (RAZ) bzw. Radikale Linke (RL) gebildet hätten. Konkret zur Last gelegt wurden ihnen verschiedene militante Aktionen zwischen 2009 und 2012 sowie die Mitarbeit an der Untergrundzeitung „radikal“, die immer wieder mit Verfolgungsmaßnahmen überzogen wurde.
Das Konstrukt des Schnüffel- und Durchleuchtungsparagrafen 129 gab den Ermittlungsbehörden ein umfangreiches Instrumentarium an Überwachungsmöglichkeiten an die Hand, das sie vollständig ausschöpften: Über Jahre hinweg wurde jede Regung der Beschuldigten und ihres Umfelds, sämtliche Kommunikationsformen und Handlungen festgehalten und ausgewertet. Eine der Betroffenen wurde durch diesen enormen Repressionsdruck in den Tod getrieben.
Schon bald war offensichtlich, dass das Konstrukt der „kriminellen Vereinigung“ nicht zu halten war, weshalb die Verfahren voneinander getrennt und die meisten eingestellt wurden. Nur Cem erhielt 2018 eine Anklageschrift, wobei die Vorwürfe auf drei Aktionen – nämlich Brandanschläge auf das Berliner „Haus der Wirtschaft“, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und das Amtsgericht Wedding – zusammengeschrumpft waren. Auch für diesen Vorwurf ließ sich im Prozess, der am 8. Juni 2021 begann, jedoch an den 21 Verhandlungstagen kein wirklich tragfähiger Beweis erbringen. Dafür half der Repressionsapparat dem Geschehen mit einigen rechtswidrigen Hilfestellungen auf die Sprünge, indem beispielsweise den Polizeizeug*innen vor ihrem Auftritt im Gerichtssaal Kopien ihrer damaligen Berichte zugeschickt wurden.
Doch Cem steht nicht alleine: Die Soligruppe gegen 129-Verfahren und die Rote Hilfe OG Berlin begleiten die Beschuldigten schon seit Jahren. Für Sonntag, den 28. November wird zu einer Demonstration unter dem Motto „Freispruch im RAZ-/RL-/radikal-Verfahren!“ aufgerufen, und für den Morgen der Urteilsverkündung am 1. Dezember 2021 ist ab 9 Uhr eine Kundgebung vor dem Landgericht Berlin angekündigt.
„Nach mehr als zehn Jahren systematischer Ausspähung und umfangreicher Verfolgungs- und Überwachungsmaßnahmen, die mit einer angeblichen kriminellen Vereinigung begründet wurden, fällt das ganze Konstrukt wieder einmal wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Was übrig bleibt, ist nur eins: die Sicherheit, dass die Repressionsorgane in ihrem Verfolgungsdrang gegen jegliche linken Bestrebungen völlig außer Rand und Band sind“, kommentierte Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V. das Verfahren. „Wenn die Staatsanwaltschaft eine Bewährungsstrafe fordert, so tut sie das nur, um das Gesicht zu wahren. Wir fordern Freispruch für Cem! Jedes andere Urteil wäre grotesk.“