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Solidarität mit den Frankfurter/Offenbacher G20-Gefangenen!

Prozessbeginn am 18. Dezember 2018 in Hamburg

Razzien am Main
Am Morgen des 27. Juni kam es bundesweit zu einer weiteren Durchsuchungswelle bei Anti-G20-Aktivist*innen. In Frankfurt und Offenbach wurden vier Personen durch die Polizei nach Hamburg verschleppt.

Den jungen Männern wird vorgeworfen, sich an Aktionen freitagmorgens in der Hamburger Elbchaussee beteiligt zu haben. Zwei der Festgenommen waren zum Tatzeitpunkt noch unter 18 Jahre alt und gelten somit vor dem Gesetz als so genannte Heranwachsende. Auf dieser Grundlage konnte erreicht werden, dass zumindest die Haftbefehle für die beiden Jugendlichen außer Vollzug gesetzt wurden. Diese mussten allerdings ihre Pässe abgeben und sind verpflichtet, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden. Die beiden volljährigen Männer befinden sich seitdem jedoch in Untersuchungshaft im Hamburger Gefängnis Holstenglacis.

Der Staat teilt aus
Die Anklage ordnet die Beschuldigten willkürlich dem Komplex Elbchaussee zu, um in der Öffentlichkeit „Schuldige“ präsentieren zu können und die Rechtsbrüche und die massive Polizeigewalt gegen Demonstrant*innen während der G20-Protestwoche zu kaschieren. Die harten Urteile, die bislang nach G20 gefällt wurden, reihen sich ein in die Faschisierung der Staatsapparate, am deutlichsten sichtbar in den neuen Präventiv- und Polizeigesetzen (etwa das bayerische PAG). Hinzu kommen die innere Aufrüstung und immer ausgedehntere Überwachung sowie die politische Repression und die harten Strafen gegen alle, die sich gegen die herrschenden Verhältnisse wehren.

Angesichts der verhältnismäßigen Stille bei Angriffen auf Geflüchtete(nunterkünfte), bei abertausenden Toten im Mittelmeer etc. erscheint es doch mehr als verwunderlich welche Empörung ein paar zerstörte Scheiben und Autos hervorrufen. Dass schon am selben Abend den Geschädigten eine Zahlung von 40 Millionen Euro zugesichert wurde (zum Vergleich: den Angehörigen der Opfer des NSU wurde nach jahrelanger Schikane, Kriminalisierung und Stigmatisierung insgesamt(!) eine Million Euro Entschädigung gewährt), verdeutlicht die massive Diskrepanz bei der Wahrnehmung des Wertes von Menschenleben im Vergleich zu Waren und Konsumgütern.

Vorwürfe? Kollektiv- und Kontaktschuld!
Der Zynismus von Polizei und Justiz ist in Anbetracht der Vorwürfe unerträglich. Am frühen Morgen des ersten Gipfeltages machten einige hundert Aktivist*innen ihrer Wut über die bestehenden Verhältnisse Luft und verdeutlichten ihre Unversöhnlichkeit unter anderem durch das Entglasen von Konsulaten, Banken und Ämtern und das Anzünden von Autos in der im Villenviertel gelegenen Elbchaussee. Obwohl es keinerlei polizeiliche Foto- oder Videoaufnahmen von den Geschehnissen gibt, hat die Polizei nun vier junge Männer aus dem Rhein-Main-Gebiet als vermeintliche Täter präsentiert. Die Vorwürfe – Brandstiftung, Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung – basieren auf einem „Bewegungsprofil“, das die Polizei über die vier erstellt haben will: Sie habe die Gruppe auch zu anderen Gelegenheiten in Hamburg beobachten können, so etwa ganz ohne schwarze Vermummung beim Bäcker in Altona. Konkrete Taten werden ihnen nicht vorgeworfen, außer dass sie vor Ort gewesen sein sollen und einer der Beschuldigten eine Mülltonne auf die Straße gezogen habe. Es ist offensichtlich, dass es hier darum gehen soll, Menschen von künftigem politischem Protest abzuhalten und eine ganze Bewegung einzuschüchtern, indem Einzelne drakonisch bestraft werden.

Isolationshaft und Willkür
Die Absurdität der Vorwürfe knüpft an die bisherigen G20-Prozesse an, genauso wie die Anordnung von U-Haft wegen der angeblichen „Schwere der Tat“ und vermeintlicher „Fluchtgefahr“. Dazu die Schikanen, die die zwei im Knast ertragen müssen: Der jüngere war in den ersten drei Tagen durchgehend eingesperrt. Erst danach bekam er eine Stunde Hofgang täglich. Seitdem wurde seine Zelle mindestens viermal ohne Angabe von Gründen durchsucht und er selbst wiederholt spontanen Leibesvisitationen unterzogen. Die einzige Möglichkeit, die ihnen gelassen wird, um aus der Zelle raus zukommen und soziale Kontakte zu haben, ist, im Knast zu arbeiten. Auch wenn sich manches inzwischen gelockert hat, durften die beiden sich bis heute nicht sehen und sind immer wieder wahllosen Schikanen und der Willkür der Schließer ausgesetzt. Diese nannten als Begründung nur: „Weil wir es können“.

Druck machen!
Ganz offensichtlich dienen diese Haftbedingungen dazu, Druck auf die zwei auszuüben und sie zu Aussagen zu bewegen. In Anbetracht der mangelhaften Beweislage gegen sie ist das kein Wunder. Auch eine weitere Person sitzt seit Oktober ebenfalls im Hamburger Holstenglacis in Untersuchungshaft, nachdem sie per Europäischem Haftbefehl von Frankreich ausgeliefert wurde. Auch ihr werden Straftaten im Zusammenhang mit den Aktionen auf der Elbchaussee vorgeworfen. Die Polizei möchte nach mehr als einem Jahr Arbeit der eigens eingerichteten SoKo „Schwarzer Block“ gern Ergebnisse vorweisen, und das heißt „Schuldige“ bestrafen. Machen wir es den Inhaftierten leichter im Knast und erzeugen wir unsererseits Druck auf die Behörden! Der Prozess gegen alle vier Beschuldigten beginnt am 18. Dezember. Obwohl vor dem Jugendgericht geführt, wird er öffentlich sein – und lange dauern: Es sind bereits 30 (dreißig!) Prozesstage bis Mai terminiert. Die Anklageschrift besteht weitgehend aus der Beschreibung von beschädigten Autos sowie einer Handvoll Indizien, dass die vier Beschuldigten irgendwie vor Ort gewesen sein sollen. Dieser Show-Prozess muss begleitet und kritisiert werden!

Schreibt Postkarten und Briefe, kommt zum Prozess und zeigt ihnen, dass wir sie mit dieser Repression nicht allein lassen! Wir werden weiter Post schicken, mit eurer Hilfe alle Prozesstage begleiten und „den Scheiß aufdrehen“ bis sie wieder frei sind. Der Grund dafür ist einfach: Weil wir es können.

Weitere Prozesstermine, immer ab 9:30 Uhr:
Dienstag 8. Januar 2019
Donnerstag 10. Januar 2019
Dienstag 15. Januar 2019
Weitere Termine folgen

Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V. Ortsgruppe Frankfurt
IBAN: DE24 4306 0967 4007 2383 90
BIC: GENODEM1GLS
Verwendungszweck: G20
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Veranstaltungen in Zürich und Bern zur G20-Repression

Still Loving Krawalltouristen!
NoG20! – United We Stand!
Informations- und Diskussionsveranstaltung zur Welle der Repression nach
dem G20-Gipfel in Hamburg.
Mit zwei NoG20-Aktivistinnen von «United We Stand» aus Hamburg.

Das völlig benagelte Spektakel der Mächtigen, der G20-Gipfel in Hamburg ist ja seit über einem
Jahr vorbei – vorbei? Nicht wirklich und nicht für Alle. Noch immer sitzen sechs der vormals
über 50 Menschen in der Justizvollzugsanstalt Billwerder, am östlichen Rand Hamburgs ein. Noch immer stehen vier Leute bis voraussichtlich Ende Juli gefühlt fast täglich vor Gericht. Nahezu im Wochentakt werden neue G20-Verfahren eröffnet. Über 50 Angeklagte wurden bereits zu saftigen Haftstrafen, Bewährungsstrafen oder Geldstrafen verurteilt. Viele der Anfang Juli über 400 vorübergehend Festgenommenen und Eingeknasteten warten noch auf die Verfahren gegen sie.

Wohnungen, Häuser, Bibliotheken und Projekte wurden und werden durchsucht. Fahndungsbilder zu hunderten veröffentlicht und eine regelrechte Menschenjagd von Verfolgungsorganen und der Presse veranstaltet.

Seit April passiert dies auch im so genannten Ausland. Nicht nur in der Schweiz, Dänemark, Griechenland, Spanien und Italien, sogar in Ländern wie Ungarn, Belgien und Österreich. Am 28.5.2018 wurden in Frankreich, Spanien, Italien und in Bremgarten AG Hausdurchsuchungen veranstaltet, mit martialischem Aufgebot wie Spezialkräften, vermummten Beamt*innen, Hunden und was noch immer. Das KuZeB z.B. gleich vor den Augen der Anwohner gerazzt. Zwei G20-Gefangene wurden noch während laufenden Strafprozessen aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und mit einer 5-jährigen Einreisesperre belegt. Dieser Eintrag in das SIS II Schengen-Sperrsystem führt dazu, dass die beiden Nicht-EU-Bürger in kein Land des Schengener-Abkommens mehr  einreisen können. Und dies völlig unabhängig vom Ausgang der gerichtlichen Strafverfahren. Schon zum G20-Gipfel wurden Menschen an der Einreise gehindert und nur im gerichtlichen Eilverfahren ist es den meisten gelungen, ihr angeblich verbrieftes Recht auf freie Meinungsäusserung, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit wahrzunehmen.

Ein Jahr nach dem «Gipfel der Hiebe», wollen wir euch einen Abend lang von den G20-Gefangenen, -Angeklagten & -Verurteilten berichten. Die Solidaritäts-Kampagne «United We Stand» vorstellen und besonders über den Kampf gegen Einreisesperren und Ausweisungsverfügungen erzählen.
Sowie, was das in Zukunft für uns alle bedeuten könnte. Besonders folgenschwer trifft es Aktivist*innen aus Nicht-EU-Staaten und Ländern, die nicht im Schengener-Abkommen sind.
Die NoG20-Aktivistin und Anwältin für Migrationsrecht, die seinerzeit die Einreisesperren bekämpft
hat und sich nun für die grosse Schlacht vor den verschiedenen Verwaltungsgerichten gegen die
Ausweisungsverfügungen der Hamburger Ausländerbehörde rüstet, wird da sein und eine NoG20-Aktivistin, die sich von Anfang an in der Begleitung und dem Support der G20-Gefangenen, Ex-Gefangenen, Angeklagten, ihren Familien und Genoss*innen engagiert. Viele der eingeknasteten
NoG20-Aktivist*innen hatten bis dato keinerlei Kontakte oder soziales Umfeld in Hamburg und
mussten beziehungsweise müssen bis zur Verurteilung in erster Instanz, zum Teil monatelang in
der Stadt bleiben oder zur Berufungsverhandlung wiederkommen. Deren Leute wollen sie natürlich
im Knast besuchen, den Prozessen beiwohnen und sie auch in den Berufungsverhandlungen unterstützen. So sind bei all dem Horror der Repression auch wahnsinnig schöne, wertvolle, tolle, interessante, liebevolle und intensive Freundschaften entstanden von Hamburg über Amsterdam
nach Warschau, von Feltre über Paris und Catania bis Moskau und anders herum und zurück und
überhaupt.

United We Stand!
Diskutiert mit uns:
4.7.18, 20h Rössli, Reitschule Bern
13.7.18, 20h Infoladen Kasama, Zürich

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Repression entgegentreten

Demo zum Tag der politischen Gefangenen am Sonnabend in Hamburg: Solidarität mit türkisch-kurdischen Linken und G-20-Gegnern

Was Musa Asoglu derzeit erleidet, wird auch »weiße Folter« genannt: Keine körperliche Gewalt, sondern Angriffe auf die Psyche. Asoglu sitzt seit gut 15 Monaten in Hamburg in Isola­tionshaft: 23 Stunden am Tag allein in seiner Zelle und auch beim einstündigen Hofgang ohne Kontakt zu anderen Personen; Anwaltsbesuche nur mit Trennscheibe. Der türkischstämmige Niederländer ist weder Serienmörder noch Mafiaboss. Vorgeworfen wird ihm lediglich, Mitglied der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) zu sein, die in der Türkei gegen Unterdrückung kämpft.

Am Sonnabend jedoch wird Asoglu hören können, dass er nicht allein ist. In den Nachmittagsstunden werden die Teilnehmer der Demo »Gemeinsam gegen Repression« zum Internationalen Tag der politischen Gefangenen vor dem Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis, wo er einsitzt, zu einer Zwischenkundgebung Halt machen. Zu der Demonstration werden Menschen aus Berlin, Stuttgart, Dortmund und anderen Städten anreisen. Sie beginnt um 14 Uhr auf dem Gänsemarkt. Von dort wird sich der Zug zu den Messehallen bewegen, Veranstaltungsort des G-20-Gipfels. Vom Gefängnis aus geht es dann durchs Karolinen- und Schanzenviertel.

Seit Wochen mobilisiert das Hamburger Bündnis »United we stand« bundesweit zu der Veranstaltung, eine von vielen rund um den Aktionstag. Das Bündnis wurde unter dem Eindruck des G-20-Gipfels im Juli 2017 gegründet, es bildet das linke Spektrum der Stadt vom Roten Aufbau Hamburg (RAHH) bis zur Roten Flora ab.

Die Aktionen rund um den 18. März sind allen politischen Gefangenen weltweit gewidmet. In der Bundesrepublik richtet sich der Fokus besonders auf die 26 türkisch-kurdischen Linken, die auf Grundlage des umstrittenen Strafgesetz-Paragraphen 129b (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland) oft seit vielen Monaten in Haft sitzen. Und natürlich auf die G-20-Gefangenen.

Von den 51 im Juli in Untersuchungshaft genommenen Gipfelgegnern sind nach Angaben der Roten Hilfe in ihrer Sonderausgabe zum Tag der politischen Gefangenen (siehe jW vom 2.3.) noch fünf im Gefängnis. Sechs weitere verbüßen nach Verurteilungen Haftstrafen. Für Halil Simsek vom RAHH sind die inhaftierten Teilnehmer der Proteste gegen das G-20-Treffen nicht weniger politische Gefangene als die türkisch-kurdischen Aktivisten in deutschen Gefängnissen. »Sie sitzen für ihre politische Überzeugung im Knast, nicht wegen schwerwiegender Taten«, sagte er am Donnerstag gegenüber jW. Im Demoaufruf von »United we stand« heißt es, man wolle »ein solidarisches Zeichen« setzen und zeigen, »dass das staatliche Kalkül von Kriminalisierung, Einschüchterung und Spaltung scheitern wird«. Die Demo wende sich gegen die »weltweite autoritäre Formierung von Staat und Gesellschaft«, die sich in Deutschland in einem Rechtsruck und einer weiteren Militarisierung der Polizei ausdrücke.

*Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/329158.repression-entgegentreten.html

G20: Keine Beteiligung an Denunziation und der groß inszenierten Menschenjagd!

Bereits die letzte Pressekonferenz zu bundesweiten Hausdurchsuchungen bei Betroffenen, die im Rondenbarg von der Polizei festgestellt worden waren, war eine einzige PR-Show. Sie diente dazu, die Deutungshoheit über die Ereignisse zu gewinnen und ist Blendwerk, um von dem brutalen eigenen Vorgehen mit 14 Schwerverletzten abzulenken.

Es geht um den Rettungsversuch der Polizei am Rondenbarg nicht als brutal und in geschlossener Formation agierende gewalttätige Horde in dem Verfahren gegen Fabio dazustehen. Denn dort zeichnet sich immer deutlicher ab, dass es keinerlei Anlass gab die Demo anzugreifen, noch dazu ohne jegliche Ankündigung. Aus Sicht der Polizei und der Staatsanwaltschaft naht dort ein absolut peinlicher Gesichtsverlust.

Jetzt sollen Medienvertreter*innen in der bislang größten öffentlichen Fahndungsaktion „in 100 Fällen“ polizeiliche Aufgaben übernehmen und als willige Hilfspolizei dienen.

Bereits bei der polizeilichen Bitte an Medienvertreter*innen Foto und Filmmaterial freiwillig zur polizeilichen Auswertung herauszugeben, hat der RTL Konzern bereitwillig Rohmaterial ausgehändigt. Vergessen scheint, dass noch während des G20 Pressevertreter*innen gezielt von Polizeikräften als Störenfriede der brutalen Einsätze angegriffen und verletzt wurden. Offizielle Akkreditierungen waren völlig rechtswidrig entzogen worden.

Presse, die nicht ausschließlich auf Informationsgewinn durch Polizei und Staatsanwaltschaft baut und somit zu deren Handlangern wird, sollte sich genau überlegen, ob sie an einem derartigen Verhältnis zulasten des Vertrauens teilnehmen möchte.
Wer polizeiliche Aufgaben übernimmt, braucht sich nicht wundern wenn die Bereitschaft der Informationsgabe sowie Produktion von Bildmaterial durch Pressevertreter*innen extrem schwindet.
Nicht umsonst warnte die Bundesgeschäftsführung der dju: „Journalistinnen und Journalisten sind nicht der verlängerte Ermittlungsarm der Polizei“ und weiter, dass dies „fatale Folgen für die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit journalistischer Arbeit“ habe.
Dem können wir uns uneingeschränkt anschließen.
Denn keine*r kann dann in Zukunft journalistische Tätigkeit von Aussagen bei der Polizei oder Bildproduktion durch die Polizei unterscheiden. – Egal, ob Anonymisierung zugesagt wird oder nicht.

Insbesondere in der deutschen Geschichte sind Denunziationsaufrufe ohnehin eindeutig belegt. Politische Hetze gegen Linke, die Aushebelung von Grundrechten und das Befördern der polizeilichen Propaganda durch die Medien hatten schon öfter tödliche Folgen.

Der gesellschaftlich eingeschlagene Weg nach Rechts besteht nahezu bruchlos seit der NS-Zeit und Nachkriegszeit in allen Bereichen. Nicht nur bei den Morden der NSU wurde dies zuletzt deutlich. Auch aktuell werden über 500 behördlich als Neonazis eingestufte Leute mit offenem Haftbefehl zwar „gesucht,“ führen faktisch aber ein völlig ungestörtes Leben. Dies alles in freundlichem Einvernehmen zwischen Polizei, Politik, Verfassungsschutz, der Zivilgesellschaft und diversen Presseorganen. Ein Aufschrei bleibt aus.

Wer sich nicht mit Polizei oder rechter Gesinnung gleich machen will, sollte dem Zuruf aus dieser Ecke widerstehen.

Zu guter Letzt an Alle – auch Journalist*innen, die meinen im veröffentlichten Bildmaterial abgebildet zu sein: Bewahrt Ruhe, handelt nicht voreilig und nehmt im Zweifel Kontakt zu örtlichen Antirepressionsstrukturen oder Rechtsanwält*innen auf.

United we stand!

Auf Nennung eines Pressekontakts verzichten wir bewusst, denn nichts anderes als unabhängige Pressearbeit wird bei der besuchten Denunziations-Konferenz der Polizei untergraben.

https://unitedwestand.blackblogs.org/keine-beteiligung-an-denunziation-und-der-gross-inszenierten-menschenjagd/#more-1618

Fabio V.: „Der Knast war eine harte Erfahrung“

INTERVIEW MIT FABIO VETTORELL

Die Erzählungen von Fabio, der nach über vier Monaten Gefangenschaft endlich frei ist.

Das hellblaue Hemd ist zerknittert, weil man im Knast verständlicherweise nicht bügeln kann. Die bereits nachgewachsenen Haare sind notdürftig frisiert, um der Müdigkeit zum Trotz einen guten Eindruck zu hinterlassen. Darunter vielleicht auch vereinzelte weisse Haare. Eine solche Erfahrung zeichnet einen. Vielleicht ein paar Kilo weniger auf den Rippen, weil es im Knast nur ungesalzene Kartoffeln, Reis, Brot und halbwegs geniessbares Fleisch gab.

Aber etwas hat sich nicht geändert, in seinem Gesicht glänzt nämlich immer noch das selbe Grinsen wie eh und je. Ein Grinsen, das sagt: „Es ist schön, frei zu sein.“

Wie hast du diese Erfahrung überstanden?

Für mich als politischer Häftling war die Haftzeit einfacher als für einen gewöhnlichen Kriminellen. Denn ich erhielt viel Solidarität, auch weil sich meine Situation von der der anderen unterschied. Man hat mir geschrieben, viele versuchten meinen Eltern zu helfen, welche ebenfalls wunderbar waren. Ich wusste, dass in Feltre und Belluno Kundgebungen organisiert wurden, welche einerseits meine Freilassung forderten und anderseits Geld für die juristische Verteidigung organisierten.

Wieso wurdest du verhaftet?

Weil der G20 wegen den Protesten gescheitert ist, weil diese mehr mediale Aufmerksamkeit erhielten, weil unsere Anwesenheit die Regierung und den Bürgermeister gestört hat. Der Wirtschaftsminister wurde von den Protesten blockiert. Wir waren effizienter.

Wieso hast du dich entschlossen zu protestieren?

Es kam von Herzen, ich dachte, es sei gerecht auf die Strasse zu gehen um zu zeigen, dass nicht 20 Personen um einen Tisch sitzen und das Geschick der Welt lenken sollten, wir sind frei und wollen über unsere Leben selbst entscheiden. Die Ungleichheit auf der Welt steigt, die Klimaveränderung wird nicht von denen ausgebadet, die kommandieren, Migranten sterben im Mittelmeer, ohne dass es die Menschen kümmert. Es gab viele Gründe, die mich dazu bewegten, aus dem Haus zu gehen, Urlaub zu nehmen und hierher zu kommen.

Wie war das Leben im Knast?

Ich hatte Glück, ich war nicht lange im Knast. Fünf Monate sind nicht viel, es gibt Häftlinge, die sitzen da für Jahre drin und es hilft nichts, an die grossen zu denken, die da schon durch sind, es reicht, an andere Jungs wie mich zu denken. Tagsüber las ich, schrieb Briefe und sprach mit den anderen Häftlingen, mit denen ich immer ein gutes Verhältnis hatte, viele verhielten sich solidarisch und ich werde ihnen weiter schreiben. Es war nicht einfach, weil sich nicht alle Wärter gleich verhalten und du nicht weisst, wann du heraus kommst. Aber ich habs geschafft.

Woran wirst du dich mit Gelassenheit erinnern?

Für mich war es eine starke Erfahrung: Ich lernte, nett zu sein, allen zu zuhören und zu versuchen, alle zu verstehen. Im Knast war ich unter Menschen wie ich, die jedoch mehr verdient hätten. Im Knast treffen sich die Verletzlichsten, die Unterdrückten, die Migranten, die mit unvorstellbaren Lebensgeschichten. Ich hatte Glück, hatte wunderbare Eltern und eine schöne Kindheit, mir mangelte es also an nichts. Während viele meiner Mithäftlinge dieses Glück nicht hatten. Weil sie auf der falschen Seite der Erde geboren wurden, an einem armen Ort, wo sie nicht studieren konnten und auch wenn sie Arbeit hatten, hatten sie kein Geld für essen und mussten Hunger leiden. In der Hoffnung auf ein besseres Leben kamen sie nach Europa, aber sie fanden nicht, wonach sie suchten und mussten sich mit Diebstahl und Drogenhandel über Wasser halten. Das ist schrecklich.

Hast du Deutsch gelernt?

Ein bisschen, denn alle sprachen es. Die Wenigsten konnten Englisch, nur einige afrikanische Jungs. Manche Wärter beherrschten es, aber sie sprachen lieber Deutsch.

Was hast du dir gedacht als sie dich nicht mehr aus dem Knast liessen?

Es gab viele schlechte Momente, um ehrlich zu sein, rechnete ich auch nicht damit, heute gehen zu können; ich war auf eine Haftentlassung im Februar vorbereitet. Aber mir wurde klar, dass es einen Grund gab, weswegen ich hier war; nämlich, dass ich meinen Widerstand verwirklicht habe und daher musste ich das überstehen, auch wenn sie mich noch länger festgehalten hätten.

Fabio traf auf ein Hamburg, voll mit Lichtern und solidarischen Menschen, dieselben, welche auch seiner Mutter halfen, die nicht ohne Schwierigkeiten nach Deutschland reisen konnte. „Zu wissen, dass sie für mich leiden musste, war eine der am schwersten zu akzeptierenden Tatsachen. Aber ich hatte Glück, sie reichte mir immer eine Hand. Sie ist wie ein Fels in der Brandung, ich kann mich glücklich schätzen, eine solche Mutter zu haben.“

Als die Anwälte, seine Mutter, seine Freunde und Fabio – nun endlich frei – den Gerichtssaal verlassen, treffen sie sich zu einem gemeinsamen Mittagessen. Der erste Teller schmeckt nach Freiheit, es gibt Schweinskotelett und Pommes, mit vielen Pommes, so wie Fabio es mag.

Der Mutter fällt als erstes Fabios Gangart auf: „Er wirkt eher verwirrt als froh.“ In ihrer Stimme schwingt hörbar die Befürchtung mit, der Knast könnte negative Auswirkungen auf ihren Sohn gehabt haben. Aber Fabio scheint das nicht zu bemerken, er bedankt sich nur tausendfach für die „Rettung seines Lebens“ bei ihr. Er wiederholt immer wieder: „Ich bin aus dem Knast raus“, als wolle er sich selbst davon überzeugen. Kaum aus dem Gerichtssaal raus, schlägt er vor, ein Bier trinken zu gehen. Alle stimmen zu.

Die Mutter kann ihre Augen kaum noch von Fabio lassen. Sie nennt ihn Stern, küsst und umarmt ihn immer noch ungläubig. Sie hält ihn immer wieder an, sich zu entspannen, während er seine Freunde aus Feltre aufzählt (aus Cadore ist Fiorenzo gekommen, um ihn von allen zu umarmen) und seiner Mutter voller Vorfreude sagt: „Wir werden jede menge Zeit haben, um jede menge Sachen zu machen.“ Genug für weitere drei Monate. Währen er auf seine Bestellung wartet, beginnt Fabio auf dem Natel seiner Mutter Zeitungskommentare zu seinem Gerichtsfall durchzulesen, sie ermahnt ihn: „Das tut dir nicht gut.“ Doch er liest weiter und grinst.

Zu den ersten Sachen, die Fabio geniessen will, gehört ein Kaffee, denn im Knast war er nicht gut. „Der Kurde kaufte so eine Packung für 20 Euro“, erzählt Fabio und zeichnet mit seinen Händen dabei einen kleinen Haufen, „ich kann nicht sagen, dass er gut war.“ Auch die Mensa schien ihre Aufgabe nicht erfüllt zu haben, denn „ich war dabei angelangt, mich mit Kaffeelöffel voller Zucker zu zudröhnen.“ Heute wird er wieder zum Jugendknast in Hahnöversand zurückkehren, diesmal ohne Eskorte und ohne Handschellen, nur um seine letzten Sachen zu holen.

Jamila Baroni (Fabios Mutter) sucht sich eine Wohnung, denn zurzeit teilt sie sich ein Zimmer mit einer anderen Italienerin.

Am Abend folgt noch ein Telefonat mit Maria, dem Mädchen, dass mit ihm verhaftet wurde und wieder frei kam, während er auf seinen Prozess wartete. Ein Telefonat voller Gelächter und Unbeschwertheit. Das brauchte es.

Interview von Francesca Valente vom Corriere delle Alpi

*Übersetzt aus dem Italienischen. Original: http://www.osservatoriorepressione.info/carcere-unesperienza-dura-intervista-fabio-vettorell/

Hamburg: Solidarität mit Fabio!

Autobahn bei Zürich

Wir solidarisieren uns mit Fabio V., der in Hamburg vor Gericht steht und heute nach vier Monaten Haft aus dem Gefängnis entlassen wurde, weil er – wie so viele von uns – nach Hamburg ging, um Anfangs Juli gegen das Treffen der G20 zu demonstrieren. Fabio begegnet diesem Prozess politisch und lässt sich nicht in die Defensive drängen, weder distanziert er sich noch entschuldigt er sich für die ihm vorgeworfenen Taten. Im Gegenteil: Fabio nutzt die gebotene Plattform, um die Demonstrationen gegen das Treffen der G20 zu verteidigen und diejenigen anzuklagen, denen tatsächlich der Prozess gemacht werden sollte, nämlich die VerteidigerInnen des Kapitalismus.

In der Repression, welche diesen Julitagen folgte, ist die politische Prozessführung eine zu seltene Ausnahme. Dabei sind wir den bürgerlichen Medien und der Klassenjustiz keine Entschuldigung schuldig. Aufarbeitungen der Aktionen gegen das Treffen der G20 sind notwendig und richtig, aber wir werden sie mit Sicherheit nicht unter Beteiligung derjenigen führen, die auf der anderen Seite der Barrikaden stehen. Es sind Barrikaden, die in Hamburg so fassbar wie selten in den vergangenen Jahren wurden. So sehen wir die Ereignisse in Hamburg als klaren Beleg dafür, dass es auch nach Jahren der Hetze weiterhin eine starke Bewegung in Europa gibt, die sich im Bruch zum Kapitalismus positioniert. Es ist eine Bewegung, die sich im Herzen der Metropole und unter den Augen eines hochgerüsteten Sicherheitsapparats manifestierte. Ihre Härte in der Repression ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Wir begegnen ihr, indem wir die Proteste gegen die G20 mit all ihren Facetten verteidigen und sie als Ausdruck unserer Stärke sehen, auch wenn diese zeitlich beschränkt war.

Wir möchten mit einem längeren Zitat aus der Prozesserklärung von Fabio am 7. November 2017 enden:
«Wie auch immer die Entscheidung des Gerichtes lauten wird, sie wird nichts an unserem Protest ändern. Denn noch viele junge Männer und Frauen, die von den gleichen Idealen angetrieben werden, werden auch weiterhin überall in Europa auf die Straßen gehen, ohne sich dabei um die Gefängnisse zu kümmern, die Sie mühevoll versuchen, mit politischen Gefangenen zu füllen.
[…]
Die Entscheidung, nach Hamburg zu kommen, war eine parteiische Entscheidung. Es war die Entscheidung, mich auf die Seite von denen zu stellen, die um ihre Rechte kämpfen. Und gegen die, die sie ihnen wegnehmen wollen. Es war die Entscheidung, mich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen. Und gegen die Unterdrücker. Es war die Entscheidung, gegen die kleineren und größeren Mächtigen zu kämpfen, die unsere Welt behandeln, als wäre sie ihr Spielzeug. Und denen es dabei egal ist, dass immer die Bevölkerung ihren Kopf dafür hinhalten muss»

Rote Hilfe Schweiz, Revolutionäres Bündnis Region Zürich, Revolutionärer Aufbau Schweiz, Revolutionäre Jugendgruppe Bern, Anarchistische Gruppe Bern, Secours Rouge Genève, Revolutionäre Jugend Zürich, 27. November 2017.

Wochenüberblick 20.11. bis 26.11.

Free Fabio! – Am Montag wird Fabio voraussichtlich aus der U-Haft entlassen! Nachdem am Freitag das OLG die Beschwerde der Staatsanwaltschaft unter Auflagen zurückgewiesen hat, gehen wir davon aus, das Fabio morgen nach dem Prozess frei gelassen wird. Der Prozess beginnt Montag um 9:30 Uhr, ab 8:30 Uhr  ist wieder eine Kundgebung vor dem Gericht angemeldet. Der Prozess wird dann am 4.12. um 9 Uhr in Altona fortgeführt. Am 2.12. wird es in Feltre eine Demo mit Konzert für Fabio und alle G20-Gefangenen geben.

Auch gegen Konstantin geht der Prozess am Donnerstag, den 30.11. um 9 Uhr am Gericht in Mitte weiter. Wie immer wird der Prozess von einer Kundgebung die um 8:30 Uhr startet, begleitet.

Begleitet solidarisch die Prozesse und schreibt den G20-Gefangenen! Peike (Prozessbericht) und alle anderen, deren Kontaktdaten nicht öffentlich sind, können Post über den Ermittlungsausschuss Hamburg bekommen (Adresse). Schreibt auf Deutsch, Niederländisch, Ungarisch oder auch Englisch.

Am Mittwoch 22.11. ist Evgenij frei gekommen, auch die Statsanwaltschaft sah keinen dringenden Tatverdacht mehr. Der einzge Belastungszeuge, eine Tatbeobachter aus Bayern, schilderte in exremer Lückenhaftigkeit seine Version eines Flaschenwurfs zu einer konkreten Zeit (19:31) an einem konkreten Ort in der Juliusstr. Diese Schilderung passte in keinster Weise zu einem Video des fraglichen Zeitraums an diesem Ort. Dennoch wird am 12.12. um 9 Uhr in Altona weiterverhandelt und die Staatsanwaltschaft will in der Zwischenzeit weiterermitteln – entlang der Annahme der Zeitstempel des Videos könne falsch sein.

Am 23.11. ging ab 14 Uhr das Verfahren gegen Christian trotz eines laufenden Befangenheitsantrag bei Richter Krieten weiter. Insgesamt war die Verhandlung davon geprägt, dass Krieten die Strafprozessordnung missachtete und gegen die Verteidigung wütete. Unjuristischer als jede Fersehgerichtsshow und um so entlarvender für dieses „Rechtssytem“, dass das Strafgericht in Mitte ihn nicht längst unschädlich gemacht hat.

Am Samstag, den 18.11. wurde die Generalstaatsanwaltschaft am Gorch-Fock-Wall von Leuten mit Farbe und Steinen angegriffen. In einer kurzen Erklärung wurde sich mit den von Repression Betroffenen der G20 Revolte solidarisiert.

Der „Wasserwerfer der Herzen“ rollt seit dem 21.11. wieder, nachdem er kurz vor dem G20 Gipfel in einer spektakulären Aktion durch die Innenbehörde vor dem Haus des Innensenators Andy Grote abgeschleppt wurde.

Am 25.11. fand unter dem Motto „Jetzt erst recht! Gegen Überwachung und Kriminalisierung“ eine Demo in Göttingen statt, die den G20-Gefangenen solidarische Grüße sandte. (für Aufruf und mehr Bilder klicken und etwas nach unten scrollen)

In Stuttgart haben vermehrt Menschen Post von den Repressionsbehörden bekommen und werden zu einer freiwilligen DNA-Abnahme aufgefordert! In einer gemeinsamen Erklärung der Betroffen, rufen sie zur gemeinsamen Solidarität und Widerstand gegen diese Maßnahme auf. Sollten auch andere Menschen Post bekommen haben, meldet Euch beim EA oder der Roten Hilfe. Flyer – Erklärung DNA

Polizeigewalt hat es ja nach der Deutung von Bürgermeister Olaf Scholz angeblich nie gegeben. Im Video-Interview mit Spiegel-Online ist Sonntag erneut ein dokumenierter Fall von Polizeigewalt öffentlich geworden der symptomatisch für den G20 Gipfel ist! Gleichzeitig stellte Spiegel-Online ein Interview ins Netz, in dem Joachim Lenders (CDU, Polizeigewerkschaft) einmal mehr Raum gegeben wird um gegen Linke zu hetzen und noch mehr Cops zu fordern.

*Quelle: https://unitedwestand.blackblogs.org/wochenueberblick-20-11-bis-26-11/

Wegen Teilnahme an G-20-Protesten: Der 18jährige Italiener Fabio V. darf das Gefängnis nicht verlassen

Von Kristian Stemmler junge Welt 20.11.17

Seine Mutter stand am Freitag schon vor dem Jugendgefängnis auf der
Elbinsel Hahnöfersand, um ihren Sohn abzuholen. Doch Jamila B. musste
wieder umkehren. Obwohl das Amtsgericht Hamburg-Altona den Haftbefehl
gegen den italienischen G-20-Gegner Fabio V. am Donnerstag aufgehoben
hat, bleibt er in Untersuchungshaft – weil die Staatsanwaltschaft keinen
Millimeter nachgibt. Der Justizskandal um den jungen Italiener, der
während des G-20-Gipfels bei einem Polizeieinsatz im Industriegebiet
Rondenbarg am 7. Juli festgenommen worden war und seitdem in Haft sitzt,
weitet sich damit aus.

Die Amtsrichterin hatte den Haftbefehl gegen Zahlung einer Kaution von
10.000 Euro aufgehoben, da nur noch mit einer Verurteilung zu einer
Jugendstrafe auf Bewährung zu rechnen sei. Vier Polizisten hatten den
Angeklagten zuvor im Prozess nicht wiedererkannt. Doch das focht die
Staatsanwaltschaft nicht an. Sie legte beim Landgericht Beschwerde gegen
den Beschluss ein. Als die am Freitag abgewiesen wurde, zog die
Staatsanwaltschaft vors Hanseatische Oberlandesgericht (OLG). Bis das
entscheidet, bleibt Fabio in Haft.

Das sorgte für wütende Reaktionen. Am Samstag abend bewarfen 15 bis 20
Vermummte, wie der NDR am Sonntag berichtet, das Gebäude der
Generalstaatsanwaltschaft in der Innenstadt mit Steinen, Farbbeuteln und
mit Farbe gefüllten Flaschen, zündeten auf der Straße vor dem Gebäude
Autoreifen an. Diverse Scheiben gingen zu Bruch, die Feuerwehr löschte
die Reifen. Die Polizei fahndete mit einem Großaufgebot, ohne Erfolg.

 

Auch in »sozialen Netzwerken« wie dem Kurznachrichtendienst Twitter, bei
dem seit Wochen unter dem Hashtag #FreeFabio die Freilassung des
Italieners gefordert wird, war die Empörung groß. In den Fokus wurde am
Wochenende Berit von Laffert gerückt, die Staatsanwältin, die im Fall
Fabio die Anklage vertritt. […]

Bereits am Mittwoch hatte das Team der ZDF-Satiresendung »Heute-Show«
den Fall aufgegriffen, als Quizfrage aufgemacht: »Dieser 18jährige sitzt
seit vier Monaten in Haft. Die Anklage beruht allein auf seiner
Teilnahme an einer Demo – er selbst soll keine Gewalt ausgeübt haben. In
welcher Stadt ist Fabio V. angeklagt? A) Ankara B) Hamburg«.

Tatsächlich zweifeln immer mehr Fachleute an der Rechtsstaatlichkeit im
Fall Fabio V.: Amnesty International Italien appellierte bereits Anfang
Oktober an die deutschen Behörden, den Gipfelgegner freizulassen. Der
Prozess wird mittlerweile nicht nur vom italienischen Konsulat in
Hamburg, sondern auch vom Grundrechtekomitee und der »European
Association of Lawyers for Democracy & World Human Rights« (ELDH,
Europäische Vereinigung von Juristen für Demokratie und Menschenrechte)
beobachtet.

In einer Pressemitteilung vom Mittwoch erklärte das Grundrechtekomitee,
gegen Fabio V. lägen keine Beweise vor, die U-Haft sei »zu keinem
Zeitpunkt« gerechtfertigt gewesen. Die Justiz setze den Kurs fort,
G-20-Gegner zu »diffamieren«, Fabios Verfahren sei nur »eines der
klarsten und schockierendsten Beispiel«. Die Entscheidung über den
Haftbefehl liegt nun beim OLG, also dem Gericht, das diesen im Juli mit
der Begründung bestätigt hatte, wegen seiner »schädlichen Neigungen« sei
eine Verurteilung Fabios zu einer Haftstrafe ohne Bewährung zu erwarten.

 

Erklärung von Fabio V. anlässlich der Sitzung am 07. November 2017 im Amtsgericht Hamburg-Altona

Frau Richterin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Frau Staatsanwältin, Herr Jugendgerichtshelfer,

Sie müssen heute über einen Mann urteilen. Sie haben ihn als „aggressiven Kriminellen“ und als „respektlos gegenüber der Menschenwürde“ bezeichnet. Mich persönlich kümmert es nicht, mit welchen Attributen Sie mich benennen. Ich bin nur ein Junge mit einem starken Willen.

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass die Herrschaften Politiker, Polizeikommissare und Staatsanwälte wahrscheinlich glauben, dass sie den Dissens auf den Straßen aufhalten können, indem sie ein paar Jugendliche festnehmen und einsperren. Wahrscheinlich glauben diese Herrschaften, dass das Gefängnis ausreicht, um die rebellischen Stimmen aufzuhalten, die sich überall erheben. Wahrscheinlich glauben diese Herrschaften, dass die Repression unseren Durst nach Freiheit aufhalten wird. Unseren Willen, eine bessere Welt zu erschaffen.

Nun gut, diese Herrschaften täuschen sich. Sie liegen falsch, das beweist auch die Geschichte.

Denn wie ich mussten bereits unzählige junge Menschen Gerichtsverfahren wie dieses hier durchleben.

Heute ist es Hamburg, gestern war es Genua und davor wiederum war es Seattle.

Sie versuchen, die Stimmen der Rebellion, die sich überall erheben, mit allen „legalen“
Mitteln und „prozessrechtlichen Maßnahmen“ einzugrenzen.

Wie dem auch sei, wie auch immer die Entscheidung des Gerichtes lauten wird, sie wird nichts an unserem Protest ändern. Denn noch viele junge Männer und Frauen, die von den gleichen Idealen angetrieben werden, werden auch weiterhin überall in Europa auf die Straßen gehen, ohne sich dabei um die Gefängnisse zu kümmern, die Sie mühevoll versuchen, mit politischen Gefangenen zu füllen.

Aber kommen wir nun zum Punkt, Frau Richterin, Frau Staatsanwältin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Herr Jugendgerichtshelfer.

Kommen wir zum Punkt.

Wie Sie sich vorstellen können, werde ich heute in Bezug auf die Sache, wegen der ich angeklagt bin, von meinem Recht zu schweigen Gebrauch machen. Aber ich möchte etwas über die Beweggründe sagen, weswegen ein junger Arbeiter aus einer abgelegenen Stadt in den östlichen Voralpen nach Hamburg gekommen ist. Er tat dies, um sein Missfallen am G20-Gipfel zum Ausdruck zu bringen.

G20. Allein der Name an sich hat etwas Perverses.

20 Menschen, Männer und Frauen, welche die reichsten Industrieländer der Welt vertreten, versammeln sich um einen Tisch. Sie sitzen alle zusammen, um über unsere Zukunft zu entscheiden. Ja, ich habe es richtig gesagt: „unsere“ Zukunft. Meine Zukunft, die Zukunft aller Menschen, die heute hier in diesem Saal sitzen, sowie die Zukunft weiterer 7 Milliarden Menschen, die auf unserer schönen Erde wohnen.

20 Menschen entscheiden über unser Leben und unseren Tod.

Selbstverständlich ist die Bevölkerung zu diesem netten Bankett nicht eingeladen. Wir sind nichts anderes als die dumme Schafsherde der Mächtigsten der Welt. Hörige Zuschauer dieses Theaters, in dem eine Handvoll Menschen die ganze Menschheit in der Hand hat.

Frau Richterin, ich habe lange darüber nachgedacht, bevor ich nach Hamburg gekommen
bin.

Ich habe an Herrn Trump gedacht und an seine Vereinigten Staaten von Amerika, die sich unter der Flagge der Demokratie und der Freiheit für die Polizisten der ganzen Welt halten. Ich habe an die vielen Konflikte gedacht, die der amerikanische Riese in jeder Ecke des Planeten anstiftet. Von Nahost bis nach Afrika. Alles mit dem Ziel, die Kontrolle über die eine oder andere Energiequelle zu erlangen. Nicht so wichtig, dass dann immer die gleichen sterben: Zivilisten, Frauen und Kinder.

Ich habe auch an Herrn Putin gedacht, den neuen Zaren Russlands, der in seinem Land systematisch die Menschenrechte verletzt und sich über jegliche Art von Opposition lustig macht.

Ich habe an die Saudis und an ihre auf Terror gründenden Regierungen gedacht, mit denen wir westliche Länder riesige Geschäfte machen.

Ich habe an Erdoğan gedacht, der seine Gegner foltert, tötet und einsperrt.

Ich habe auch an mein eigenes Land gedacht, in dem jede Regierung mit Gesetzesdekreten pausenlos die Rechte von Studenten und Arbeitnehmern beschneidet.

Kurzum, das sind sie, die Hauptdarsteller des prächtigen Banketts, das im letzten Juli in Hamburg stattgefunden hat. Die größten Kriegstreiber und Mörder, die unsere heutige Welt kennt.

Bevor ich nach Hamburg kam, habe ich auch an die Ungerechtigkeit gedacht, die unseren Planet zerstört. Es scheint mir schon fast banal zu wiederholen, dass 1% der reichsten Bevölkerung der Welt genau so viel Reichtum besitzt wie 99% der ärmsten Bevölkerung zusammen. Es scheint mir schon fast banal zu wiederholen, dass die 85 reichsten Menschen auf der Welt genau so viel Reichtum besitzen wie 50% der ärmsten Bevölkerung der Welt zusammen. 85 Menschen gegenüber 3,5 Milliarden. Nur ein paar Zahlen, die ausreichen, um eine Vorstellung zu bekommen.

Und dann, Frau Richterin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Frau Staatsanwältin, Herr Jugendgerichtshelfer, bevor ich nach Hamburg kam, habe ich an meine Stadt gedacht: an Feltre. Das ist der Ort, an dem ich geboren wurde, an dem ich aufgewachsen bin, an dem ich leben möchte. Es ist ein kleines mittelalterliches Städtchen, das wie ein Juwel in die östlichen Voralpen eingelassen liegt. Ich habe an die Berge gedacht, die sich bei Sonnenuntergang rosa färben. An die wunderschönen Landschaften, die ich das Glück habe aus dem Fenster meines Zuhauses sehen zu können. An die umwerfende Schönheit dieses Ortes.

Und dann habe ich an die Flüsse in meinem schönen Tal gedacht, die von den vielen Unternehmern geschändet werden, die Genehmigungen haben wollen, um dort Elektro-Wasserwerke zu bauen, unbeachtet der Schäden, die sie der Umwelt und der Bevölkerung zufügen. Ich habe an die Berge gedacht, die vom Massentourismus befallen werden und zu einem grausigen Militärübungsplatz geworden sind.

Ich habe an den wunderschönen Ort gedacht, an dem ich lebe und der an skrupellose Geschäftemacher verscherbelt wird. Genauso wie viele andere Täler in jeder Ecke des
Planeten, in denen die Schönheit im Namen des Fortschritts zerstört wird.

Angetrieben von all diesen Gedanken hatte ich mich also entschieden, nach Hamburg zu kommen und zu demonstrieren. Hierher zu kommen, war für mich mehr eine Pflicht als ein Recht.

Ich habe es für richtig gehalten, mich gegen diese gewissenlose Politik zu erheben, die unsere Welt in den Abgrund treibt.

Ich habe es für richtig gehalten zu kämpfen, damit zumindest etwas auf dieser Welt ein
bisschen menschlicher, würdevoller, gerechter wird.

Ich habe es für richtig gehalten auf die Straße zu gehen, um daran zu erinnern, dass die Bevölkerung eben keine Schafsherde ist und dass sie in Entscheidungsprozesse involviert werden muss.

Die Entscheidung, nach Hamburg zu kommen, war eine parteiische Entscheidung. Es war die Entscheidung, mich auf die Seite von denen zu stellen, die um ihre Rechte kämpfen. Und gegen die, die sie ihnen wegnehmen wollen. Es war die Entscheidung, mich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen. Und gegen die Unterdrücker. Es war die Entscheidung, gegen die kleineren und größeren Mächtigen zu kämpfen, die unsere Welt behandeln, als wäre sie ihr Spielzeug. Und denen es dabei egal ist, dass immer die Bevölkerung ihren Kopf dafür hinhalten muss.

Ich habe meine Entscheidung getroffen und habe keine Angst davor, wenn es einen Preis geben wird, den ich ungerechterweise dafür zahlen muss.

Nichtsdestotrotz gibt es noch etwas, das ich Ihnen sagen möchte, ob Sie mir es glauben oder nicht: Gewalt mag ich nicht. Aber ich habe Ideale und ich habe mich entschieden, für sie zu kämpfen.

Ich bin noch nicht fertig.

In einer historischen Zeit, in der überall auf der Welt neue Grenzen entstehen, neue Zäune mit Stacheldraht aufgebaut und von den Alpen bis zum Mittelmeer neue Mauern errichtet werden, finde ich es wundervoll, dass Tausende junger Menschen aus jedem Teil Europas bereit sind, gemeinsam in einer einzigen Stadt für ihre Zukunft auf die Straße zu gehen. Über jede Grenze hinaus. Mit dem einzigen Ziel, die Welt etwas besser zu machen als wir sie vorgefunden haben.

Denn, Frau Richterin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Frau Staatsanwältin, Herr Jugendgerichtshelfer, wir sind nicht die Schafsherde von zwanzig mächtigen Herrschaften. Wir sind Frauen und Männer, die das Recht haben wollen, über ihr eigenes Leben selbst zu entscheiden.

Dafür kämpfen wir. Und dafür werden wir weiterkämpfen.

Erklärung von Fabio V. anlässlich der Sitzung am 07. November 2017 im Amtsgericht Hamburg-Altona