Category Archives: Knastkämpfe

Folter in Spanien

Am 27. Juni erschien ein Untersuchungsbericht über die Praxis der Folter im spanischen Baskenland im Zeitraum von 1960 bis 2013.  (http://www.eitb.eus/multimedia/documentos/2016/06/27/1987310/Memoria%20Proyecto%20tortura%202016.pdf)
Es wurden Daten über 4‘000 Fälle von Folter gesammelt und ausgewertet. Stichprobenweise wurden 202 Opfer nach den Richtlinien des Istanbul-Protokolls untersucht. Dieses Protokoll dient als Standard der UNO zur Untersuchung und Dokumentation von Folter, auch in Abwesenheit physisch sichtbarer Schäden.
Von den untersuchten Fällen wurden 11% als absolut zuverlässig, 46% als sehr zuverlässig, 41% als zuverlässig und nur 2% als zweifelhaft beurteilt. Es muss davon ausgegangen werden, dass ein sehr grosser Teil der untersuchten Fälle somit tatsächlich als Folter im eigentlichen Sinn betrachtet werden müssen.
Es fällt auf, dass die grosse Anzahl Fälle nach dem Tod Francos, also in die Zeit der Demokratie, fällt. Diese auf den ersten Blick irritierende Tatsache hat mehrere Gründe. Ganz allgemein muss festgehalten werden, dass mit dem Abhalten von Wahlen nicht automatisch ein funktionierender Rechtsstaat entsteht, der die Menschenrechte achtet. Die dafür notwendigen Institutionen ändern sich meist wesentlich langsamer als das politische System. Auch im Fall von Spanien lässt sich in etlichen relevanten Institutionen nach dem Übergang eher eine Kontinuität feststellen:
– Die Guardia Civil, das Repressionsinstrument des Diktators Franco, bleibt bestehen
– Der Staatsgerichtshof für schwere Straftaten und Terrorismus, die Audiencia Nacional, wurde als
Ersatz für den Tribunal del Orden Público aus der Franco-Zeit neu gegründet, das Personal blieb
jedoch zunächst grösstenteils identisch
– Die Gesetze bleiben zu einem grösseren Teil bestehen, oder werden erst langsam ersetzt. Dies ist
keine Spezialität Spaniens: Auch Deutschland hat noch Gesetze aus der Nazi-Zeit.

Es sollte deshalb nicht überraschen, dass auch die Praxis der Folter eine Kontinuität erfährt, die auch durch die fortwährende Aktivität der ETA mit Anschlägen intern legitimiert wird. Diese Tatsache wurde seit Jahren in den Berichten von Menschenrechtsorganisationen sowie Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie dem Antifolter-Komitee der UNO bestätigt.
In einer Phase dieser Auseinandersetzung waren von 1983 bis 1987 auch Todesschwadronen aktiv, die Grupos Antiterroristas de Liberación (GAL). In den Aufbau und die Finanzierung dieser Gruppen war der spanische Staat direkt verwickelt.
In letzter Zeit wurde diese Tatsache auch von einzelnen Personen des Sicherheitsapparates bestätigt: Baltasar Garzon, ehemaliger Untersuchungsrichter der Audiencia Nacional, hat 2015 selbst bestätigt, dass es bei den Verhören „Exzesse“ von Folter gegeben hat.
Laut der Baskischen Organisation gegen Folter, Torturaren Aurkako Taldea (TAT) war im Jahr 2015 das erste Mal keine Meldung wegen Folter eingegangen.

Communiqué: augenauf Zürich, August 2016

Mehr als 300 ­Palästinenser im Hungerstreik

Ramallah. Mehr als 300 Palästinenser sind am Donnerstag in israelischen Gefängnissen in den Hungerstreik getreten.

Das berichtete die Nachrichtenagentur Maan unter Berufung auf den Palästinensischen Gefangenenverband. 40 Inhaftierte stehen der linken Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) nahe. Sie solidarisieren sich mit Bilal Kajed, der am heutigen Freitag seit 52 Tagen keine Nahrung mehr zu sich nimmt. Kajed wurde, nachdem er seine über 14jährige Gefängnisstrafe abgesessen hatte, von den israelischen Behörden in »Administrativhaft« genommen. Auch der prominente inhaftierte Journalist Omar Nasal hat sich dem Protest angeschlossen.

Weitere 285 Streikende stehen der Hamas nahe. Alle fordern ein Ende der repressiven Maßnahmen durch die israelische Gefängnisverwaltung. (jW 5.8.16)

http://political-prisoners.net/item/4506-mehr-als-300-spalaestinenser-im-hungerstreik.html

Deutschland: Freiheit für Aaron und Balu

Vor ca. 6-5 Jahren begann der Jubel der Investor*innen, dass es in
Berlin zu anhaltender Wertsteigerung von Immobilien kommt und keine
Preisblase in Sicht ist. Dementsprechend schritt die
Stadtumstrukturierung nach kapitalistischem Maße voran. Mietpreise
schossen bei stagnierenden Realgehältern in die Höhe, sodass auch
teilweise bürgerliche Kleinfamilien sich in Teilen von Friedrichshain
Kreuzberg oder Neukölln die Mieten nicht mehr leisten können. Linke
Wohnprojekte wie die Liebig 14 wurden geräumt, um Platz für
Investor*innen zu schaffen und Kieze, die für Selbige als hartes Terrain
gelten, zu „bereinigen“. So liegt es nah, dass sich Widerstand formt und
permanente Kämpfe gegen Gentrifizierung und für den Erhalt von linken
Freiräumen geführt werden.

Die Antwort der Herrschenden darauf ist Repression in Form von bspw.
(Zwangs-)Räumungen oder dem vom Innensenat ausgerufenen Gefahrengebiet,
welches mit staatlichem Terror einhergeht. Dieser Terror äußert sich in
dauerhaften polizeilichen und verdachtsunabhängigen Kontrollen von
Personalien, sowie der Schikanierung von Anwohner*innen oder auch nur
zufällig vorbeikommender Menschen. Fakt ist: Jeder Mensch, der sich
solidarisch mit dem Friedrichshainer Nordkiez zeigt, wird angegriffen.

Mensch bedenke, dass sich seit ungefähr 8 Monaten der Nordkiez in einer
Dauerbelagerung durch den permanenten Aufenthalt von ca. 2
Einsatzhundertschaften befindet. Dieser Gedanke wird noch abstruser, da
im Allgemeinen Ordnungs- und Sicherheitsgesetz (ASOG) nichts von einer
derartigen zeitlich und örtlich unbeschränkten Ausführung steht. Dazu
kommen verschiedene Höhepunkte von staatlichen illegalen Angriffen auf
die Rigaer94, wie die Hausdurchsuchung im Januar diesen Jahres, die von
550 Polizisten und einer Einheit des SEK, bewaffnet mit
Schnellfeuerwaffen, durchgeführt wurde. Dabei wurden 1,5 Tonnen Kohle
beschlagnahmt, die Wohnungen beschädigt und Bewohner*innen schikaniert.
Die radikale Linke antwortete am 6.2. mit der „rebellische Kiez
verteidigen“-Demonstration, bei der 5000 Demonstrant*innen ein
energisches und kraftvolles Zeichen gegen politische Repression und die
von der Politik befeuerte Gentrifizierung setzten.
Hiermit noch nicht genug! So wurden am 22.6.2016 die Kadterschmiede im
Erdgeschoss und der Dachboden der Rigaer94 geräumt und sollten von einem
Trupp Bauarbeiter renoviert werden. Bis zum Urteil des Berliner
Landesgerichts, welches die Räumung natürlich ohne entsprechenden Titel
am 12.7.2016, als illegal beurteilte, hielten sich ein großes Aufgebot
Polizisten*innen vor und in der Rigaer94 auf um die Bauarbeiten zu
„sichern“. Auch dieses Ereignis löste selbstverständlich Widerstand aus.
Enough is Enough!

Der Senat steckte auf diese Art und Weise eine Niederlage ein, die
besonders Einen traf: den Innensenator Frank Henkel(CDU), den Initiator
der staatlichen Angriffe. Seine Antwort war eine Sonderkommission LinX
ein zurichten, die sich lächerlich machte, in dem sie ihren eigenen
Informanten Marcel Göbel festnahm und das als Triumph feierte. Er
lieferte auch die Vorgabe an die Polizei die Solidaritätsdemonstration
am 9.7. eskalieren zu lassen. Nach dem zweimal von Seiten der Polizei
mit Knüppeln und Pfefferspray die Demonstrant*innen stark angegriffen
wurde, kam es im weiteren Verlauf zu 86 Festnahmen und 123 „verletzten“
Polizist*innen.

Aus diesen 86 wurden 2 Menschen ausgewählt, Aaron und Balu, die für die
Legitimation der Repression gegen Linke und der Law&Order-Politik
Henkels zur Verantwortung gezogen werden sollen und immer noch in
Untersuchungshaft sitzen. Mit anwältlicher Hilfe wurde bisher alles
erdenkliche unternommen, um unsere Gefährten wieder aus der
Untersuchungshaft zu holen. Die Richter*innen der ersten und zweiten
Haftprüfungen entschieden sich gegen Freilassung, da die Staatsanwältin
Sadri-Herzog eine Fluchtgefahr auf Basis vermeintlich ungeklärter
Wohnverhältnisse suggerierte und auf die vermeintliche Schwere der
Vorwürfe einging. Der Beschluss unsere Gefährten in Untersuchungshaft zu
stecken, dient lediglich der Zermürbung und dem Brechen der beiden. Sie
sollen sich vor Gericht als reuige, demütige Angeklagte zeigen.
Interessant ist auch, dass im Fall von Balu der Vorwurf der versuchten
gefährlichen Körperverletzung lediglich auf Aussagen von
Zivilpolizeizeugen basiert und keine geschädigte Person gefunden werden
konnte. Die vermeintliche Fluchtgefahr von Balu beruht darauf, dass er
Einblick in seine Wohnsituation erlaubte. Er gab an bei seiner Mutter
gemeldet zu sein, in einer WG in Münster zu leben und in Frankfurt ab
nächstem Semester studieren zu wollen. Aarons Fluchtgefahr wird mit
vielen Stempeln in seinem Reisepass und österreichischen Herkunft begründet.

Um weiter Druck aufzubauen, erklärte die Staatsanwältin sich dafür
einsetzen zu wollen, dass beide mehrjährige Haftstrafen erhalten. Für
uns ist klar, dass an Aaron und Balu ein Exempel statuiert werden soll,
das widerständige Menschen einschüchtern soll und der Abschreckung
dient, sich gegen eine Stadtumstrukturierung nach kapitalistischen
Maßstäben aufzulehnen, sowohl als die herrschenden Verhältnisse
anzugreifen. Gleichzeitig muss Henkel seinen Wahlkampf, der sich wie
beschrieben an der radikalen Linken abarbeitet, verteidigen. Für Henkel,
der für seine Law&Order-Politk bekannt ist, gilt es zu vermeiden von
konservativen Teilen der Bevölkerung als schwach zu gelten. So fischt er
auch auf Kosten auf unserer Gefährten nach Stimmen, die er der AFD zur
kommenden Berlinwahl im September abringen möchte.

Angesichts der bestehenden Gegebenheiten betrachten wir rebellisches
Verhalten als eine Notwendigkeit, um die bestehenden
Herrschaftsverhältnisse anzugreifen, abzuschaffen und nach
freiheitlichem Maßstäben umzugestalten! Wir zeigen uns bedingungslos
solidarisch mit Aaron und Balu und möchten euch auffordern dasselbe zu
tun! Werdet aktiv und kreativ! Schreibt den Beiden! Spendet, um kommende
Repressionskosten abzudecken und deren Anwalt zu finanzieren!

Unsere Solidarität gegen ihre Repression! Freiheit für Aaron und Balu!

Rote Hilfe OG Berlin

Addressen:
Aaron
Balu
RH-Berlin
Stadtteilladen Lunte (Neukölln)
Weisestraße 53
12049 Berlin

Als Absender könnt ihr unsere Adresse angeben. Bitte schreibt uns eine Mail
mit deinem im Brief verwendeten Namen, damit wir Briefe an euch
weiterleiten können.

Spendenkonten:

Rote Hilfe e.V.
GLS-Bank
IBAN: DE55 4306 0967 4007 2383 17
BIC: GENODEM1GLS
Stichwort: support Aaron und Balu

oder

Schwarz-Rote-Hilfe Münster
Kontonr.: 282052468
BLZ 440 100 46
Postbank Dortmund
Stichwort: support Aaron und Balu

Wenn ihr euch weiter informieren wollt. Homepage des Solikreises für
Aaron und Balu:
https://aaronbalu.blackblogs.org/ oder berlin.rote-hilfe.de

Deutschland: PRESSEERKLÄRUNG DER VERTEIDIGUNG

Presseerklärung der Verteidigung in dem 129b-Verfahren gegen 10 türkische/kurdische KommunistInnen vor dem OLG München.

Aus dem „Putsch nach dem Putsch“ müssen die deutschen Behörden jetzt Konsequenzen ziehen.

Verteidigung fordert die Rücknahme der Verfolgungsermächtigung und die sofortige Einstellung des Strafverfahrens.

Seit dem 17. Juni 2016 wird vor dem OLG München das Verfahren gegen 10 vermeintliche Mitglieder der TKP/ML (Türkische Kommunistische Partei/Marxistisch-Leninistisch) wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129b StGB) geführt. Die TKP/ML ist in Deutschland nicht verboten und findet sich auch nicht auf internationalen Terrorlisten. Allein die Türkei deklariert sie als terroristische Organisation.

Der Einleitung dieses Strafverfahrens liegt eine außenpolitische Entscheidung, nämlich die Erteilung der sogenannten Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium (BMJV) zugrunde: Ob eine Strafverfolgung durchgeführt wird hängt davon ab, ob diese den Interessen der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Maßgebend soll dabei nach dem Gesetz u.a. sein, ob sich die Ziele der Vereinigung gegen einen ausländischen Staat richten, der die Würde des Menschen achtet.

Bereits mit Presseerklärung vom 17. Juni 2016 hat die Verteidigung unter Hinweis auf die Menschenrechtsverletzungen und totalitären Tendenzen in der Türkei die Rücknahme der Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium und die Einstellung des Verfahrens gefordert.

Die “Maßnahmen“ der AKP-Regierung seit dem 15. Juli 2016 zeigen der gesamten Welt, dass sich die Türkei auf dem Weg zu einem offen diktatorisch agierenden Staat befindet, der sämtliche demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien über Bord wirft. Die Menschenwürde und Menschenrechte werden missachtet. Die Entwicklung in der letzten Woche, der „Putsch nach dem Putsch“, muss auch zu Konsequenzen in der Politik der Bundesregierung führen. Allein der konsequenzlos bleibende Ausdruck einer „Besorgnis“ kann nicht mehr ausreichen. Das gegen unsere Mandanten geführte Verfahren musste schon bisher als Auftragsarbeit für Erdogan und sein Regime verstanden werden. Eine Fortführung dieses Strafverfahrens würde nach den Geschehnissen der letzten Tage eine Legitimierung der antidemokratischen und antirechtsstaatlichen Maßnahmen Erdogans bedeuten. Oder, in der Formulierung des verfolgten Istanbuler Journalisten Can Dündar, einen „Tritthocker unter die Galgen in der Türkei“.

Spätestens nach der Verhängung des Ausnahmezustands ist offensichtlich, dass der türkische Staat keine die Würde des Menschen achtende staatliche Ordnung ist.

Diese veränderten außenpolitischen Umstände können und müssen deshalb zu einer Rücknahme der Verfolgungsermächtigung führen, will sich die Bundesregierung nicht zum Handlanger der Autokratie Erdogans machen.

Wir fordern deshalb das BMJV auf, die Verfolgungsermächtigung in Bezug auf unsere Mandanten zurückzunehmen.

Hintergrund

Der gescheiterte Militärputsch wird von der AKP-Regierung zum Anlass genommen, offensichtlich schon lange vorbereite „Säuberungsaktionen“ durchzuführen. Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung sind allein in den letzten Tagen ca. 65.000 Richter, Staatsanwälte, Beamte und Polizisten, Militärs, Hochschullehrer und Lehrer suspendiert und/oder verhaftet worden. Erdogan-kritische Radio- und Fernsehsender werden abgeschaltet. Am 20. Juli 2016 wurde für die gesamte Türkei der Ausnahmezustand verhängt.

Menschen, die deutliche Spuren der Folter aufweisen, werden öffentlich zur Schau gestellt. Lynchjustiz wird toleriert und die Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert. Andersdenkende und Minderheiten werden gezielt eingeschüchtert und angegriffen. Wir erleben eine islamistische Mobilmachung gegen jede Form der Abweichung. Die türkische Regierung erklärt die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) für derzeit nicht anwendbar. Die Gewaltenteilung ist aufgehoben.

München, den 21.07.2016

Information
https://www.tkpml-prozess-129b.de
RA Alexander Hoffmann: info@anwalthoffmann.de
RA Dr. Peer Stolle: stolle@dka-kanzlei.de
Verteidigerinnen und Verteidiger

RA Rainer Ahues
RA Sinan Akay
RAin Antonia von der Behrens
RA Berthold Fresenius
RA Marvin Hegermann
RA Martin Heiming
RA Manfred Hörner
RA Alexander Hoffmann
RA Frank Jasenski
RA Dietmar Kleiner
RA Ulrich v. Klinggräff
RA Stephan Kuhn
RA Roland Meister
RAin Franziska Nedelmann
RA Bernhard Pradel
RA Iñigo Schmitt-Reinholtz
RA Yener Sözen
RA Dr. Peer Stolle
RA Yunus Ziyal

21.07.2016 Presseerklärung der Verteidigung

 

Venezuela: Bernhard Heidbreder seit zwei Jahren inhaftiert

Am 11. Juli 2016 sind es zwei Jahre, die Bernhard Heidbreder nun in Venezuela inhaftiert ist. Bedauerlicherweise hat sich seit dem letzten hier veröffentlichten Text von Anfang Februar 2016 an der Situation fast nichts geändert. Im folgenden ein paar Sätze zur Situation in Venezuela und zu den jüngsten Entwicklungen in Deutschland.

1. Venezuela: Im Westen nichts Neues

Ende Oktober 2015, also vor acht Monaten, hat der Oberste Gerichtshof Venezuelas entschieden, dass Bernhard Heidbreder nicht an die deutschen Behörden ausgeliefert wird. Das Gericht hätte eigentlich schon spätestens Ende Februar 2015 entscheiden müssen, überzog die Frist aber um rund acht Monate. Trotzdem wurde er nicht aus der Haft entlassen, da das Gericht keine Entlassungsanordnung erließ, sondern den Fall zur Entscheidung über Bernhards Haft und seinen Aufenthaltsstatus in Venezuela an die Immigrationsbehörde SAIME übertrug.

Was SAIME seitdem an Tätigkeiten entfaltet hat, ist weitgehend unklar. Für die andauernde Haft von Bernhard gibt es weder eine Rechtfertigung noch eine offizielle Begründung. Das Strafverfahren gegen ihn wegen der Einreise und Einbürgerung mit gefälschten Ausweispapieren wurde bereits Ende Oktober 2014 von einem Gericht in Mérida endgültig eingestellt.

Bernhard ist nunmehr seit zwei Jahren in Venezuela inhaftiert. Seit Anfang 2015 befindet er sich in einer bürokratischen Grauzone, die aus einem Buch von Kafka stammen könnte: Ein Gericht, das seine eigenen Fristen ignoriert. Eine Behörde, die gerichtliche Anordnungen nicht beachtet und mit anderen Behörden aus Prinzip nicht zusammenarbeitet. Eine andere Behörde, die offenbar noch mit den verordneten zwei Tagen Wochenarbeitszeit überfordert war und ist. Die Einschaltung hochrangiger Behördenvertreter, Politiker und selbst des Menschenrechtsausschusses des venezolanischen Parlaments hat bisher nichts bewirkt. Wir warten gespannt und besorgt darauf, wie das laufende Asylverfahren von Bernhard ablaufen wird. Es besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass Bernhard irgendwann aus Venezuela ausgewiesen wird.

Obwohl es in den letzten Wochen immer wieder Signale aus der Bürokratie gegeben hat, wonach in der einen oder anderen Weise an einer positiven Lösung gearbeitet werde und der Fall „bald” gelöst sei, haben wir das Vertrauen in derartige, zu oft gehörte offizielle Bekundungen längst verloren. Alle, die sich mit Bernhard solidarisch zeigen wollen – insbesondere in Venezuela selbst –, rufen wir erneut auf, sich für seine sofortige Freilassung einzusetzen, und auch andere Menschen über Bernhards Situation zu informieren.

2. Was in Deutschland geschieht

Zeugenvorladung

Am 24.02.2016 war, wie hier berichtet, eine Person aus dem ehemaligen sozialen Umfeld eines der Beschuldigten im K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren zur zeugenschaftlichen Aussage beim Berliner Landeskriminalamt vorgeladen worden. Da sie die Aussage verweigerte, wurde vom Vertreter der Bundesanwaltschaft ein Ordnungsgeld in Höhe von 250 € verhängt, bei dessen Nichtzahlung eine Woche Ordnungshaft anfalle. Durch die Anwältin wurde dagegen Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt und ein Recht auf Aussageverweigerung gemäß § 55 StPO (Gefahr der Selbstbelastung) geltend gemacht. Weiter wurde beantragt, die offensichtliche Verjährung der meisten Tatvorwürfe festzustellen und Akteneinsicht in das gesamte Verfahren zu gewähren. Zudem solle das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit des einzigen verbleibenden Tatvorwurfs, § 30 StGB, „Verabredung zu einem Verbrechen“ (siehe unten).

In seiner umfassenden Weisheit hat der Bundesgerichtshof am 13.05.2016 sämtliche Ansinnen der Bundesanwaltschaft abgenickt, die Verhängung des Ordnungsgeldes in Höhe von 250 € bestätigt, das Akteneinsichtsgesuch zurückgewiesen und auch verneint, dass die Strafvorschrift über die Verabredung zu einem Verbrechen verfassungswidrig sein könnte.
Bezüglich der Ordnungshaft, die zu verhängen sei, falls die 250 € nicht bezahlt werden, hat der BGH diese Androhung zwar aufgehoben, da nur ein Gericht dies anordnen könne und nicht etwa die Staatsanwaltschaft. Aber nicht zu früh gefreut, auch hier lässt Kafka grüßen. Wir zitieren:

„Die Entscheidung des Generalbundesanwalts vom 24.02.2016 … wird mit der Maßgabe aufrecht erhalten, dass
a) die ersatzweise verhängte Ordnungshaft von einer Woche entfällt
b) für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft für die Dauer von sieben Tagen festgesetzt wird.“

Was alle JurastudentInnen schon wussten, nun also für alle: Eine Woche ist nicht gleich sieben Tage! Kurz und schlecht, das Ordnungsgeld wurde gezahlt, aber…

…gleich danach ist erneut Post von der Bundesanwaltschaft eingetroffen. Die nächste zeugenschaftliche Vernehmung soll am 09.08.2016 in Karlsruhe am Sitz des Generalbundesanwalts stattfinden. Eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten könnte unmittelbar im Anschluss daran drohen.

Haftbeschwerde

Unabhängig von diesen Ereignissen ist mittlerweile von den AnwältInnen der als angebliche Mitglieder des K.O.M.I.T.E.E. Gesuchten Beschwerde gegen die Haftbefehle beim Bundesgerichtshof eingelegt worden. Da alle konkreten Tatvorwürfe im Fall K.O.M.I.T.E.E. inzwischen verjährt sind, bleibt der Bundesanwaltschaft nur noch die „Verabredung zu einem Verbrechen“ gem. § 30 StGB für ihre Ermittlungen. Diese Vorschrift verletzt das Schuld- und Rechtsstaatsprinzip und ist deshalb verfassungswidrig. Die Strafandrohung und die daraus folgende 40-jährige absolute Verjährungszeit stehen außer Verhältnis zur Schuld. Es ist absurd, dass die Verabredung zu einer Tat, auch wenn sie dann gar nicht stattfindet, härter bestraft und länger verfolgt werden kann als die darauf folgende konkrete Vorbereitung dieser Tat. Sollte das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dieser Argumentation folgen, wäre das Ermittlungsverfahren endgültig einstellungsreif.

Doch selbst wenn am Ende eine positive Entscheidung stehen sollte, werden bis dahin wohl noch viele Monate vergehen. Und es wird eine Menge Geld kosten, diesen Weg von Gericht zu Gericht zu gehen. Wir sind also weiterhin auf Spenden und Unterstützung angewiesen!

http://dageblieben.net/

Interview with Nikos Maziotis, imprisoned member of Revolutionary Struggle (Greece)

Some Questions and Answers with N. Maziotis, event at Karditsa self-managed space, June 2016 [excerpts]

Q. How can the anarchist/antiauthoritarian space change from being reactive into a real revolutionary movement? In your opinion, what political characteristics should it have, and what kind of organization and aims?

A: It is a question of political positions. Anarchy, or Libertarian or antiauthoritarian communism is a social proposal and organization. The condition to create a truly revolutionary anarchist movement is the existence of political positions and proposals in order to make clear to the people, the masses and workers, what we believe and what aims we have as anarchists. This means that we must take positions on the burning problems and issues of our time that are the result of the capitalist crisis- such as debt, memoranda, the dilemma of staying in or leaving the European Union, and to make clear what is our goal as anarchists, which is none other than the overthrow and destruction of capital and the state and the creation of a stateless, classless society.
These are issues for which the masses of people, the people affected by the crisis and the policies for rescuing the system, have searched and still search answers, yet the anarchist/anti-authoritarian space had nothing different to offer them compared to the proposals of the mainstream parties (besides slogans perhaps). Also beyond the formulation of political positions and proposals it should be clear by whom or in what ways and means our struggle will promote and implement these political positions and proposals- in other words, how we will make Anarchy a reality.

So if we want to make revolution and overthrow capital and the state and to create a revolutionary movement aimed at this stateless and classless society, then we must necessarily have armed struggle in our practice as a means of struggle. Because as I said in my presentation it is obvious and a given that no revolutionary perspective is possible without armed struggle.
Of course a revolutionary movement must have diverse methods of struggle, it must have all the different methods as so many arrows in its quiver: propaganda, counter-information, demonstrations, self-organized structures, and there must be open and public, as well as illegal actions.
But all these actions must be part of a larger package that serves the same purpose, the overthrow of the regime. For this it is indispensable to have the greatest possible agreement among comrades on unified political positions and proposals, in a kind of political program. Otherwise we simply reproduce the characteristics of the current movement, which is a patchwork of groups and individuals, which is neither a unifying nor a united force and where all have different priorities, and therefore it remains a purely reactive political space, only for protest or at best insurrection, but it can not become a threat to the regime nor have a revolutionary perspective.
Regarding the organization that a revolutionary movement must have, it depends on the political positions and proposals we have. Since it seems today that nothing can be taken for granted, if we are anarchists, we are supposed to aim for the immediate abolition of the state as a mechanism to administer societal affairs and the destruction of capital. If our positions and our goals are the destruction of capitalism, the market economy and the state, leading to the creation of a stateless and classless society- that is, a confederal organization where the societal units are the communities, communes and collectives where the decisions are taken by assemblies of the people who make up these social organizations- then the organization of the anarchist revolutionary movement is quite obviously federal.
Because our organizational set-up is our social proposal in miniature, it is Anarchy in miniature. In such a case, anarchists already within their organizations do act as a microcosm of what they profess and support. Inside the old is born the new, but not by reproducing the old hierarchical structures and values of the world and society we want to change. This is very important, because previous revolutions in fact failed in their objectives because they reproduced these hierarchical values and structures in a slightly different way.

True communism means a society without a state. The difference between Marxists and anarchists is that in the process leading to communism, Marxists believe that there should exist in the transition from capitalism to communism, the so-called “workers state” or “dictatorship of the proletariat” and that later, when the conditions have matured and the class enemy is defeated, the state will simply dissolve itself. Whereas, in contrast, anarchists believe that the state must be dissolved and destroyed immediately without any transition. Historical experience has shown that no state dissolves itself, various pretexts are given for its preservation, and that no privileged caste resigns its privileges and gives up its power in the management of human affairs.
As shown in the example of the Russian Revolution of 1917-21, instead of the assumed self-dissolution of the state, there was created the most authoritarian and totalitarian state, and this was a bad example for the labor movement and anti-imperialist struggles and revolutions in the Third World, which reproduced regimes that imposed full nationalization of the economy, along with the dictatorship of a bureaucracy that reproduced class divisions.

In the case of anarchists in the example of Spain, they proved what Saint-Just said in the French Revolution, that “those who make revolutions halfway only dig their own grave”. The Spanish anarchists- and they achieved major gains in terms of self-management in most of the Spanish territory where, thanks to their efforts, the Franco coup was suppressed- did not topple the two governments, both the local one of Catalonia and the central government in Madrid of the Popular Front, all in the name the anti-fascist struggle, with this resulting in constant concessions and repression of self-management by the Communist-controlled government.
Future revolutions must not repeat past mistakes, and must dissolve the State directly as a mechanism of class-rule. We must promote this today as anarchists and we must show our political positions as a movement.

In February comrade Roupa attempted to help your getaway from the prison of Korydallos by [hijacking a] helicopter. Could you make a comment about this?

It was an action forming part of the framework of the continuation of action that Revolutionary Struggle has engaged in since 2009 at the beginning of the crisis, targeting the mechanisms and economic power structures that play a significant role in the crisis and its political representatives (Athens Stock Exchange, Eurobank, Citibank) and continued with the last attack of the organization in 2014 on the Directorate of the Bank of Greece and the IMF permanent representative office, for which I was recently sentenced to life imprisonment.

This escape attempt was a response to repression against Revolutionary Struggle and against other armed fighters, and in this context included in the escape were members of the CCF.
Despite the failure of this attempt, it is of great political value and importance.

As Revolutionary Struggle, we have made choices that have brought us face to face with state repression, prison, and we have risked our lives in this combat. For us, prison is a terrain of struggle, not the end of the fight, and we have proved that it was not the end with the arrests in 2010. To defend with pride what we are, and to continue the armed struggle is a duty and right, and it is our especial duty towards Lambros Fountas, our comrade who was killed in action, it is a matter of course for us and negates the repression.
Such actions as comrade Pola Roupa attempted are exemplary because they give a strong political message that we are and remain consequent, despite successive repressive operations of the state against us, despite the arrests, heavy sentences, and murder of Lambros Fountas, we are unrepentant and we will not stop struggling, we will never throw in the towel, we will never give up the fight.
Also the fact that the escape would have included members of CCF demonstrates further that there is not so much importance in different positions about issues concerning the struggle, but that what matters is the common goal, the struggle against authority, the struggle for the overthrow of capital and the state.

Lately it is possible to observe a large deficit of solidarity towards all political prisoners. This was particularly illustrated by the massive political prisoners hunger strike of 2015. What do you think is the cause of this?

In my estimation, this is a result of the general political failure, or if you like, the political defeat of the anarchist/anti-authoritarian space over the last six years where, first of all, it was not up to the historic occasion, it could not intervene as a catalyst in the period after the inclusion of the country in the programs of international organizations of the Troika, and secondly, due to the fact that the terrorism of the state started to bite, with the waves of repeated arrests for armed action the 2009-2011 period, a result that brought into prison dozens of comrades who have been sentenced to many years of prison, and that there exists the perspective that they will remain fairly long years in prison.
On the issue of solidarity there were simultaneous problems of separations, with criteria as to why someone was accused and what attitude they held, that is if they were “guilty” or “innocent”, if they took responsibility for participation in an armed organization or invoked a judicial “fabrication”. There were criteria of “solidarity” based on personal or family relationships, or the criteria that, “anyone I disagree with, I am not in solidarity with”.
In recent years we have witnessed many such separations using various criteria. All these divisions have basically a political background behind them, such as the exclusion of armed action as part of the fight against state and capital.
So a piece of the anarchist space has proven to be easier to mobilize on issues of “human rights” since they are considered more popularizable, with the issue of judicial “fabrications”, “unjust persecutions”, “construction of cases”, all this rather than of course the armed struggle cases for which the vast majority of the political prisoners are in prison, and many of whom have accepted political responsibility for their participation in armed groups.
But now there is a general indifference and a general deficit in solidarity towards all political prisoners, not just for one portion, and is irrespective of divisions and regardless of any controversy, and this is due to the political defeat of the anarchist/antiauthoritarian space in recent years. This defeat is the result of serious political shortcomings and incapacities, that it has no coherent political positions and proposals to the problems of our time, the crisis and policies to oppose it. So it could not intervene in the period of big mobilizations against the 1st Memorandum in 2010-12 and was unable to develop into a serious political pole, a revolutionary movement that would be a threat to the regime.

This general political defeat affects the overall activity of the movement and has led to the present resignation and fragmentation- particularly visible in the last rallies against the 3rd Memorandum- and of course this too affects the question of solidarity with political prisoners. Naturally, the movement is also influenced by the general social defeat, after the mobilizations against the memoranda and rescue programs implemented over the past six years have all been defeated. From 2012 there has been a decline in social resistance and a lessening of mobilizations made against the governments of Samaras and of SYRIZA.

The overall political failure and defeat of the anarchist/anti-authoritarian space to develop into a revolutionary movement that has the potential for subversion and revolution is the cause of the deficit in solidarity with all the political prisoners, and not just for those that might be said to have responsibilities for various confrontations between prisoners, and which in some degree are caused between views of “innocence” and “guilt” and the issue of assumption of political responsibility.

To sum up, the problem of the anarchist space is an existential political one. It has forgotten about the war against authority, and therefore has forgotten its own prisoners of war.

Wo ist Andreï Sokolov ?

Andreï Sokolov ist ein revolutionärer Antifaschist mit einer langen politischen Geschichte, der in der Ukraine inhaftiert wurde. Im Dezember 2014 reiste er in den Donbass, um sich an der dortigen Volksrepublik zu beteiligen. In einem Interview (fr) beschrieb und analysierte er die damalige Situation aus der Gefangenschaft. Denn er war am 16. Dezember 2014 in einen Checkpoint der ukrainischen Armee geraten und verhaftet worden. Seit da und bis April 2016 war Andreï in der Ukraine inhaftiert. Am 15. April 2016 kam er vor Gericht, wo er zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und 7 Monaten verurteilt wurde. Aufgrund seiner langen Untersuchungshaft, wurde er direkt nach dem Urteil freigelassen. Doch als er aus dem Gericht lief, wurde er von vier Menschen in zivil gepackt und in ein neutrales Auto verfrachtet. Seither – also seit bald 3 Monaten – fehlt jede Nachricht von Andreï Sokolov. Weder seine Familie noch seine GenossInnen wissen, wo er ist. Die Rote Hilfe International, welche bereits länger in Kontakt mit ihm stand, hat nun eine Kampagne unter der Parole “Wo ist Andreï Sokolov?” eröffnet. Auf der Homepage der belgischen Roten Hilfe findet sich viel mehr Material zu Andreï.

Brief von Sinan Aydin: Alltag im Knast / 11.03.2016

Liebe Genossen,

ich habe den Brief den Ihr mir am 30.12.2015 geschickt habt erst heute
(11.03.2016) bekommen. Leider verspätet sich alles wenn es solch massive
Kontrollen gibt. Es ist völlig egal wie schnell ich euch zurückschreibe,
ich vermute meinen Brief werdet ihr erst in ein paar Monaten bekommen.

Ich werde auf das Schreiben von euch eingehen obwohl ich mir dessen
bewusst bin, dass es bis zum 18.03., dem Tag der politischen Gefangenen,
nicht reichen wird. Außerdem habt ihr auch geschrieben, dass ich auch
über andere Themen schreiben kann. Wenn Ihr mir beim nächsten Brief
schreiben könnt was es für Themen es sein sollen und ob ihr meine Briefe
übersetzen lassen könnt, würde ich mich freuen.

Seit dem 15. April 2015 bin ich wegen dem TKP/ML Prozess in Kaisheim
inhaftiert. Vom ersten Tag bis 31.August war ich einer kompletten
Isolation ausgesetzt gewesen. (Wie die anderen Genossen die wegen
demselben Verfahren sitzen)

In einer kompletten Isolation, durfte ich morgens eine Stunde alleine
zum Hofgang. Nachdem ich danach alleine duschen durfte saß ich 23
Stunden lang in meiner Zelle ohne jeglichen Kontakt. Bei der Ausgabe von
Essen haben sie mir das Essen sogar entweder als erstes oder als letztes
das Essen gegeben. Wenn ich zum Arzt musste, bin ich als Einziger
hingegangen. In Wartezimmer war außer mir niemand da. Also, in den
ersten 4 Monaten habe ich / haben wir niemandem außer Vollzugsbeamten
oder die, die essen verteilen gesehen. 2mal im Monat habe ich meine
Familie, die zu Besuch da war, gesehen. Das war die einzige Zeit wo ich
mit jemandem gesprochen habe. Zu diesem Zeitpunkt habe ich auch in
einigen Briefen erwähnt, dass ich den ruhigen Sinan in mir entdeckt
habe, der eigentlich sehr gerne spricht.

Zu diesem Zeitpunkt fing mein Tag morgens um 6 Uhr mit der Stimme von
Beamten, die vorbeigekommen sind und nach mir geschaut haben mit einem
„Guten Morgen“, an. Aktuell fängt mein Tag immer noch so an. Von Anfang
an hatte ich einen Fernseher in meiner Zelle. Nachdem ich aufgestanden
bin habe ich ihn sofort angemacht, um ATV, einen türkischen Sender,
einzuschalten, um die Nachrichten zu sehen; bis der Vollzugsbeamte mich
zum Hofgang abgeholt hat. (07:30 Uhr)

In der Zeit habe ich wie Nazim es gesagt hatte mich im Spiegel
angeschaut und rasiert.* Ich mache es immer noch so mit dem einzigen
Unterschied, dass der Hofausgang um 8:45 Uhr stattfindet. Die
Nachrichten dauern auch bis dahin an.

Dieser Sender ATV und die die Nachtrichten senden sind mehr Erdogan als
er es selber ist und somit niederträchtig. Das heißt, dass mein Tag mit
dem psychischen Terror schon beginnt.

Ihr fragt euch jetzt bestimmt wieso ich es dann anschaue. Erstens: Es
ist der einzige Sender auf Türkisch. Zweitens: Durch die ständig
durchlaufenden Untertitel kann ich Nachrichten lesen. So bekomme ich
Informationen. Drittens wenn ich Zeitungen lese oder Nachrichten höre
kann ich dann die Widersprüchlichkeiten herausziehen. Somit bekomme ich
einen besseren Eindruck auf das Geschehen. Die deutschen Nachrichten
sind schlimm. Wenn es um Türkei, Kurdistan und menschenverachtendes
Verhalten geht spielen sie die drei Affen.

Wenn ich zu meinem Alltag zurückgehe, nachdem ich aus der kompletten
Isolation raus bin, habe ich angefangen täglich die Hürriyet, die
(Özgür) Politika und die Junge Welt zu bekommen. Die habe ich natürlich
komplett durchgelesen. Ich habe Druck bei der Vollzugsleitung gemacht
und habe Bücher bekommen, um Deutsch lernen zu können. Damit habe ich
auch angefangen.

Monatelang durfte ich keine türkischen Bücher von Außen bekommen.
Nachdem Ende August der Druck erhöht worden ist habe ich das Kapital
Band 1 von außen erhalten. Jetzt habe ich auch das 2. Buch und bin schon
fast damit durch. Das dritte werde ich auch noch erhalten.

Während der Isolation habe ich versucht täglich eine Stunde Sport zu
machen. Kurz gesagt verbringe ich die Zeit des Tages so:

– morgens um 6 aufstehen,
– TV und Nachrichten,
– mich frisch machen und rasieren
– zwischen 07:30 – 08:30 Uhr Hofgang
– 08:30 – 09:00 Uhr: Duschen,
– 09:00 – 11:00 Uhr: deutsche Nachrichten. Die Artikel der Zeitungen,
die nicht gelesen worden sind, lesen und Kreuzworträtsel, Bücher zum
Deutschlernen,
– 11:00 – 12:00 Uhr: Mittagessen,
– 12:00 – 13:00 Uhr: Türkische Nachrichten,
– 13:00 – 14:00 Uhr: ausruhen evtl. schlafen,
– 14:00 – 17:00 Uhr: Zeitungen die frisch gekommen sind, lesen,
– 17:00 Uhr: Abendessen,
– 18:00 – 19:00 Uhr: Türkische Nachrichten,
– 19:00 – 20:00 Uhr: Deutsche Nachrichten,
– zwischen 20:00 – 00:00 Uhr habe ich, wenn es einen schönen Film auf
deutschen Kanälen lief, diesen angeschaut oder gelesen.

Jetzt ist es morgens genauso.

– 08:45 – 10:00 Uhr: Hofausgang,
– 10:00 – 11:00 Uhr: Duschen und Mittagessen kommt.
– 11:00 – 12:15 Uhr: Essen und ausruhen.
– 12:15 – 13:30 Uhr: Sport (montags, dienstags, mittwochs und
donnerstags). Zu dieser Zeit ist die Zellentür offen und es ist
Duschzeit. In dieser Zeit habe ich die Möglichkeit mich mit den anderen
Gefangenen zu unterhalten oder Schach zu spielen.
– Zwischen 15:00 – 00:00 verbringe ich meine Zeit in meiner Zelle damit
deutsch-türkische Nachrichten anzuschauen, Lesen oder damit Filme
anzuschauen.

Am Freitag, Samstag und Sonntag sind die Zellentüren ab 11 Uhr
geschlossen bis zum nächsten Tag 08:45 Uhr.
Ich mache auch an diesen Tagen immer dasselbe bis auf das, dass ich an
diesen Tagen Briefe beantworte. Wenn unter der Woche ein Champions
League Spiel kommt, dann schaue ich es mir an. Damit ich ein gutes
Gewissen habe löse ich während der Zeit Kreuzworträtsel.

Wenn ich zu dem Punkt komme wie es bis jetzt für mich läuft, kann ich
nur sagen, dass ich kein Problem hatte mich an die neue Situation zu
gewöhnen.

Folter im Baskenland – Nekane Txapartegi

Asteasu, 03.09.1999. Guardia Civil

Es ist, als ob sie in dir etwas gebrochen hätten. Du nimmst Abstand zu dem, was du liebst, um dir nicht zu schaden. Es ist wie eine Verteidigung für {mit} die deinen. Es ist schwer, sich aufzuregen oder es auszudrücken mit dem Nahen, aber nicht mit dem Entfernten (ein Film) oder mit dem, das keine direkte Beziehung hat. Du identifizierst dich mit, was du in anderen siehst, und dann regst du dich auf.

Als Frau, wenn sie deine Intimität gebrochen haben, entblösst, vergewaltigt … das hat bei mir spätere Reaktionen ausgelöst. Wenn sie gesehen haben, was für einen Unterschied macht es, wenn jemand anderes es sieht? Alle sexuellen Übergriffe wurden von Männern durchgeführt, angeordnet in einem Kreis, und ich in der Mitte. Deshalb vermeide ich es immer noch, wenn ich eine Gruppe von Männern sehe, vermeide ich es, durch die Mitte zu gehen. Ich mag es nicht, etwas zu sagen, wenn sie in einer Gruppe sind, weil es mich daran erinnert, was in der Polizeistation passiert ist.

Nach der Flucht ist die psychische Belastung im Exil weniger schwer, es gibt niemanden, der weiss, was passiert ist. Allerdings haben sich, durch das beiseite lassen der psychischen Belastung, die körperlichen Folgen mehr bemerkbar gemacht. Der Schmerz entsteht in den gleichen Wunden der Polizeistation.

Die Folter hat mein Leben in ein bevor und ein danach geteilt, aber hat mich als Mensch und Frau gestärkt. Ich habe viel aus dieser schmerzlichen Erfahrung gelernt, und ich hatte den Mut, mich nach vorne zu bewegen. Der Kampf gegen die Folter hat wie eine Leiter, die ich Tritt für Tritt nach oben gehen musste. Schritt für Schritt vorstossend mit jeder Klage und jeder Zeugenaussage.

Es gab einen Tritt, den hochzusteigen mir in diesem Kampf noch fehlte. Ein Dorn, den ich rausziehen konnte, seit ich in der Polizeistation war. Sie haben mich viel mit diesem Thema zerkleinert, mit wurde mir gesagt, dass ich nach der Vergewaltigung nicht in der Lage wäre Kinder zu haben, dass Sie mich nicht andere wie mich machen lassen würden… Ich wollte schon immer eine Mutter zu sein, vor und nach der Polizeistation. Aber ich wusste, dass ich zuerst die Wunden der Polizeistation heilen musste. Schritt für Schritt, Tritt für Tritt. Der Tag ist gekommen, an dem ich habe auch diesen Dorn entfernt habe, denn ich bin Mutter geworden. Als Frau war das für mich ein großer Erfolg, nicht um ihnen zu beweisen, dass ich es doch kann, sondern für mich selbst. Dass ich es geschafft habe, dass ich nach all diesen Jahren diesen Kampf gegen die Folter gewonnen habe.